Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
danke euch und
hoffe, es hat geschmeckt.“
Sofort kam
Bewegung in die schwarze Masse aus zuckenden Scheren und scharrenden Beinchen.
Rolo sagte:
„ Mmh whm rhdst hu?“ , was wohl so viel heißen sollte, wie „ mit wem
redest du?“ Dann spürte er, wie etwas seinen Körper hinab krabbelte. Es
kitzelte, aber er traute sich nicht, sich zu kratzen. Endlich konnte er die
Augen öffnen. Da sah er die Karawane der Zecken im Unterholz verschwinden. Dick
und rund und satt. Er betastete sein Gesicht. Es war eine feuchte
Kraterlandschaft. Seine Hände waren voller Blut. Ihm wurde übel. Socke
betrachtete die Bisswunden aus nächster Nähe. Ganz dicht kam sein Gesicht dabei
an Rolos.
Er riecht
nach Frühling, dachte Rolo und die Übelkeit verschwand.
„Ojemine“,
murmelte Socke. „Da müssen wir was machen. Ich hole meine Tasche.“
Rolo setzte
sich ins Gras. Driftwood wippte unruhig von den Fersen auf die Zehen. Irgendwas
hoch in den Baumwipfeln schien seine ganze Aufmerksamkeit zu benötigen.
Sehe ich da
etwa ein schlechtes Gewissen?, fragte Rolo sich. Er starrte den schwarzen
Nachtalb an, doch der wich seinem Blick aus. Socke platzierte seine Tasche auf
dem Boden und wühlte mit ausgestreckten Armen darin herum.
„Wo ist denn
nur …?“. Kopfüber kroch er hinein. Noch vor wenigen Stunden hätte Rolo sich
ungläubig die Augen gerieben, hätte er gesehen, wie jemand in einer Tasche
verschwand, die kaum größer war als ein Schuhkarton. Doch jetzt nicht mehr.
„Ich
hab’s!“, rief Socke. Seine Stimme hallte, als käme sie aus einem tiefen Keller.
Mit einem Einmachglas kaum er zurück. In dem Glas war eine grüne Paste. Rolo
fragte nichts. Er vertraute Socke. Und er tat gut daran, denn schon bald fühlte
sich sein geschundenes Gesicht besser an. Driftwood stand die ganze Zeit nur
stumm herum.
„Ich geh’
mal mit Kotze Gassi“, sagte er schließlich. „Komm mit.“
Kotze kam
auf die Beine, und die beiden verschwanden im Dickicht.
„Es tut mir
leid“, sagte Socke. Er bestrich Rolos Stirn mit Salbe. „Er meint es eigentlich
nicht böse.“
Rolo
schnaubte verächtlich. Er wollte etwas erwidern, aber sein Gesicht schmerzte,
beim Versuch zu sprechen.
Später saßen
sie um ein kleines Feuer. Rolos Gesicht war grün. Kotze betrachtete ihn
interessiert. Driftwood löffelte gelangweilt seine Suppe, die Socke zubereitet
hatte. Alle Zutaten, sogar das Wasser, hatte er aus seiner Tasche gefischt.
Rolo war überrascht, wie gut es ihm schmeckte. Mit jedem Löffel fühlte er sich
erfrischt und gestärkt.
„Noch
Nachschlag?“, fragte Socke. Er trug eine Schürze und lief mit Topf und
Suppenkelle von einem zum anderen. „Unbedingt“, sagte Rolo und hielt ihm seinen
Teller hin. „Wie geht es denn jetzt weiter?“, fragte er, während Socke ihm mehr
Suppe servierte.
„Jetzt
bleibt uns nichts, außer zu warten. Der Meister erscheint, wie es ihm beliebt.“
„Oh, das ist
blöde. Mein Vater macht sich bestimmt große Sorgen.“
„Das kann
ich mir vorstellen“, erwiderte Socke.
Plötzlich
sprang Kotze auf und wetzte zum Rand der Lichtung. Wie ein Jagdhund starrte er in
den Wipfel einer alten Eibe. Driftwood stellte seine Suppe beiseite und folgte
seinem Beispiel.
„Was ist
denn da, Kotze? Etwa wieder so ein verflixter Rabe?“
„Ich kann
beim besten Willen nichts entdecken“, sagte Socke. Alle reckten die Hälse.
„Da ist
nix“, moserte Driftwood.
Da begann es
zu rascheln.
„Er kommt“,
hauchte Socke.
Und was Rolo
dann sah, hatte seit Hunderten von Jahren kein menschliches Auge mehr erblickt.
Der Baum schüttelte sich. Zweige und Äste streckten sich. Rolo staunte, und
auch die Alben und Kotze verharrten in andächtiger Stille. Die Äste verwoben
sich ineinander und bildeten einen Kranz. Knospen sprossen. Wie im Zeitraffer
öffneten sie sich, blühten, und verwelkten. Daraus wuchsen rote Samen. Es waren
die Augen. Sie leuchteten hell. Dünne Zweige nahmen die Form von Lippen an. Sie
bewegten sich zitternd. Die Nadeln der Eibe sahen aus wie ein grüner
Stoppelbart.
„Meister“,
jubilierte Socke und verneigte sich.
Driftwood
tat es ihm gleich.
„Wer ist
das?“ , donnerte der Meister.
Rolo zog
erschrocken den Kopf zwischen die Schultern. „Meister“, übernahm Socke das
Wort. „Das ist Roland Blutgut, ein junger Mensch. Wir mussten ihn mitnehmen. Er
hatte den Stein in seinem Besitz.“
„Wieso
hatte er den Stein in seinem Besitz? Und wieso hat er ein grünes Gesicht? Soll
das ein
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