Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
zog eine Wolldecke aus seiner Tasche und deckte ihn damit
zu.
„Kein Pelz,
der arme Kerl“, flüsterte er Driftwood zu.
Doch
Driftwood war in Gedanken ganz woanders. Der Fund des Buches, da war er sicher,
würde der Wendepunkt in ihrer Mission sein. Zu gerne hätte er einen Blick
hineingeworfen. Aber Socke wollte erst mit dem Meister sprechen. Und bei so
etwas war Socke unerbittlich. Noch nicht mal das Eiphon hatte er ihm gelassen.
Das viele Nachdenken machte ihn müde. Wie Socke das nur immer aushält? Die Vögel in den umliegenden Bäumen begrüßten schon den neuen Tag.
„Können wir
noch einen kurzen Blick ins Buch werfen? Socke?“ Socke schlummerte schon selig,
Kotze im Arm.
„Na toll.
Und wer passt jetzt auf, dass die Nacktschnecke nicht davonkriecht? Ah, ich
weiß wer.“ Sein Blick fiel auf die Büsche, und ihm kam eine Idee.
Kjeir saß in
seiner Zelle auf dem Bett. Eigentlich war es keine richtige Zelle. Es war ein
kleiner Raum, und nur die Gitter vor dem Fenster vermittelten das Gefühl von
Unfreiheit. Die Gitter und die verschlossene Tür, die jetzt geöffnet wurde. Der
Schlüssel klapperte im Schloss.
„Danke,
Ansbert. Ich klopfe, wenn ich fertig bin.“
„Wie Ihr
wünscht.“
Dorn trat ein,
zog die Tür hinter sich zu und richtete seinen strengen Blick auf seinen Sohn.
„Weißt du eigentlich, was du mir für Scherereien machst? Die ganze Stadt
zerreißt sich das Maul. Der Neolinga hat seinen Sohn nicht im Griff, sagen
sie!“
„Aber Vater,
ich hab doch gar nichts getan“, verteidigte sich Kjeir.
„Es spielt
keine Rolle, was du getan hast oder nicht.“
„Aber du
sagst doch immer, ich soll mir nichts gefallen lassen.“
„Sollst du
auch nicht. Aber in aller Öffentlichkeit einen Streit mit diesem Idioten Hwarf
anzufangen, ist dumm. Wir haben andere Mittel und Wege, ihm zu zeigen, wo sein
Platz ist. Ich dachte, das hättest du kapiert.“
Kjeir ließ
den Kopf hängen.
„Nun heul
nicht gleich.“ Dorn setzte sich neben ihn. „Pass auf! Dieser Fremde, Grellon
Blutgut, war gestern Nacht wieder bei Adalar. Stell dir vor: Sein Sohn, dieser
Roland, ist entführt worden.“
„Was?“,
staunte Kjeir.
„Direkt aus
der Farralot. Und Belenus haben sie auch aufs Kreuz gelegt. Das ist das Beste,
was uns passieren konnte. Ich bin sicher: Der, der Hwarf erledigt hat, hat sich
auch den jungen Blutgut geholt. Wer es auch war, ich würde mich gerne
persönlich bei ihm bedanken. Adalar beweist einmal mehr seine ganze
Unfähigkeit. Er will keine Unruhe. Darum hat er nur die Behüter verständigt.
Anstatt alle Neolinga, oder sogar die Nachtwehr zu informieren. Ich sag dir
was: Wenn wir den jungen Blutgut nicht finden, oder ihm etwas zugestoßen ist,
sind Adalars Tage als Superior gezählt. Und als Erus der Farralot auch. Und
wenn ich den Jungen zuerst finde, werde ich dafür sorgen, dass ihm etwas
zustößt.“
Sie
schliefen bis in den frühen Nachmittag hinein. Als Rolo aufwachte, konnte er
die Augen nicht öffnen. Sie waren wie zugeklebt. Sein Mund auch. Erschrocken
betastete er sein Gesicht. Es schien auf die zweifache Größe angeschwollen. Als
wäre es übersät mit riesengroßen Pickeln.
„Oder mit
warmen Weintrauben. Socke?“, presste er zwischen geschlossenen Lippen hervor.
Socke rieb
sich den Schlaf aus den Augen. Er sah Rolo mit ausgestreckten Armen über die
Wiese taumeln. Rasch war er bei ihm.
„Pst, ich
bin es.“ Aus der Nähe sah Socke, was das Problem war. „Bleib kurz hier stehen.
Ich regele das. Drift!“, brüllte er.
Driftwood
schoss hoch wie eine Rakete.
„Was?“,
keuchte er.
„Was?“ Socke
stemmte die Arme in die Hüften. „Willst du mich veralbern? Was wohl?“
„War ich
dran mit Frühstück machen?“
„Frühstück
machen? Der Junge! Was hast du mit Rolo gemacht?“ „Ach, das. Ich wollte nicht,
dass er uns abhaut!“
„Rolos
Gesicht ist voll mit Zecken. Jede Einzelne ist so groß wie eine Traube. Er
hätte ersticken können!“
„Nein. Ich
hab den Zecken gesagt, dass sie nicht in seinen Kopf kriechen dürfen.“
Sockes Blick
machte unmissverständlich klar, was er davon hielt.
„Schon gut“,
beschwichtigte Driftwood. „Ich sage ihnen, dass sie abhauen müssen.“ Er kam
schwerfällig auf die Beine.
Rolo stand
da, reglos und blind. Die prallen Zeckenleiber schimmerten feucht auf seinem
Gesicht. Driftwood fand, sie hatten gute Arbeit geleistet. Aber das behielt er
lieber für sich. „Gut, Jungs, hört zu. Die Feier ist vorbei. Ich
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