Der Sommer des Commisario Ricciardi
einem Platz im Parkett aus, unter all den pfeifenden und klatschenden Leuten, ohne auch nur einmal auf die Bühne zu schauen. Ich habe Adriana beobachtet; sie lächelte und tuschelte und hat sogar Kusshändchen verteilt. Und der junge Mann erwiderte ihre Tändelei, die Alte neben ihm war ohnehin bereits eingeschlafen. Später, nachdem er seine Begleitung nach Hause gebracht hatte, haben sie sich in einem Restaurant getroffen und dort gemeinsam gegessen, zu zweit. Niemand hat sie gesehen, aber man hätte sie ja sehen können. Wie hätte mein Mann dann dagestanden? Ein Mann wie er, ein geachteter Reporter, wäre zum Gespött der ganzen Stadt geworden! Und wozu das Ganze? Für eine Liebelei. Denn da bin ich mir sicher, Commissario: Diese Laune wäre ihr rasch vergangen und sie hätte nur zu ihm zurückkehren können.Mein Mann ist viel zu schön, viel zu wichtig und gebildet.
Also habe ich beschlossen zu handeln. Der Engel musste eingreifen und für Gerechtigkeit sorgen. Ich bin nach Hause geeilt und habe Marios Pistole geholt. Sie müssen nämlich wissen, dass ich die Tochter eines Offiziers bin. Ich weiß, wie man eine Waffe reinigt und lädt, mein Vater hat es mir gezeigt, als ich klein war, er ließ es mich machen, wenn ich auf seinem Schoß saß. Und da ich mein Haus in Ordnung halte, war die Pistole stets sauber und geölt, wie es sich gehört.
Ich wollte sie bestimmt nicht umbringen. Ich wollte ihr einen Schrecken einjagen, ihr erklären, was für ein Glück sie mit einem so wunderbaren Mann hatte und dass sie ihn nicht unglücklich machen durfte. Es war wichtig, wissen Sie, Commissario: Er hätte ja auch irgendeine Dummheit begehen können, wenn er herausgefunden hätte, dass Adriana einen Liebhaber hatte. Vielleicht hätte er ihr die Gurgel umgedreht und sich ruiniert oder, noch schlimmer, sich eine Kugel in den Kopf gejagt. Das konnte ich nicht zulassen.
Also bin ich zu ihr gegangen. Ich habe den Platz überquert – die Leute haben das Fest der Santa Maria Regina gefeiert, da musste die Heilige Jungfrau mir doch beistehen, an ihrem Festtag. Im Hof habe ich mich dann versteckt, bis ich sie zurückkommen sah. Zum Glück weiß ich ja über alles Bescheid. Ich weiß, dass sie das Gittertor öffnet, ins Haus geht und dann zurückkommt, um abzuschließen. Also habe ich eine Weile gewartet, um sicher zu sein, dass alles ruhig war, und bin hineingegangen.
Dann ist etwas Merkwürdiges passiert, Commissario.Ich wollte doch bloß mit ihr reden, ihr erklären, wie verrückt sie sich benahm, und die Pistole hatte ich nur mitgenommen, um sie zu erschrecken, ihr ein wenig zu drohen: Wenn es mir gelang, ihr Angst zu machen, würde sie vielleicht zu meinem Mann zurückkehren, ihn nicht mehr betrügen, und er hätte wieder diesen seligen Blick, den ich an ihm gesehen habe und nicht mehr vergessen konnte. Dann habe ich sie aber dort auf dem Sofa liegen sehen, sie hat sehr schwer geatmet, fast geschnarcht. Wahrscheinlich war sie müde von der Nacht mit diesem anderen Kerl, vielleicht sogar betrunken. Nicht einmal ins Bett hatte sie es geschafft.
Auf einmal wurde ich sehr zornig, Commissario. Wie konnte sie es wagen, meinen Mann so zu hintergehen? Was erlaubte sie sich, sein Glück zu verspielen, das Glück des besten, des schönsten Mannes der Welt?
In diesem Augenblick sagte mir die Madonna, dass ich zwar ein Engel bin, aber Gerechtigkeit schaffen muss. Ein Engel des Todes. Ich nahm das Kissen, das auf dem Boden lag, und drückte es ihr aufs Gesicht, dann habe ich geschossen. Nur ein Schuss. Danach hat sie aufgehört zu schnarchen.
Ich bin nach Hause zurückgegangen, denn jeder hat seinen Platz, Commissario. Der Platz einer Mutter ist bei ihren Kindern. Sie schliefen friedlich wie kleine Engel. Als sie neulich da waren, habe ich Ihnen die Wahrheit gesagt, denn ich lüge nie: Ich sagte Ihnen, dass mein Mann es nicht war, und er war es auch nicht. Ich wusste bloß nicht, wo die Pistole war, dass jemand sie weggenommen hatte. Andrea hatte sie genommen, mein Süßer, um mich zu schützen.
Das brauchst du doch nicht, mein Schatz. Deine Mama wird von der Madonna beschützt, die ihr gesagt hat, was sie tun muss.
Sind Sie wirklich sicher, dass ich Ihnen nichts anbieten kann? Vielleicht etwas hausgemachten Likör?
XLI Sie hatten es nicht übers Herz gebracht, Sofia Capece ins Präsidium zu begleiten, und stattdessen Camarda und Cesarano mit dem Wagen fahren lassen. Angesichts des ruhigen Verhaltens der Frau war mit
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