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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Launen dieser Frau zurück. Jetzt ist sie tot. Weil sie sterben musste. Das ist alles.«
    Als er geendet hatte, lehnte er sich zurück und starrte wieder den Tisch an. Maione konnte kaum glauben, was er da gesehen und gehört hatte, so plötzlich war die Verwandlung vor sich gegangen. Ricciardi sprach weiter, jetzt in einem etwas schärferen Ton:
    »Darüber darfst du denken, wie du möchtest. Wir wollen lediglich wissen, wer auf die Herzogin geschossen hat. Die Tatsache, dass du die Pistole versteckt hast, sagt uns ganz klar, dass du es weißt.«
    Es folgte ein langes Schweigen. Um sie herum waren jetzt mehr Menschen; es war Freitagnachmittag, da gingen die Leute spazieren. Fast alle Geschäfte waren geöffnet, und vornehme Damen mit großen Fächern blieben vor den Schaufenstern stehen, um Preis und Form von Kleidern und Hüten zu kommentieren. Endlich sprach Andrea:
    »Ich war es. Ich habe den Wahn meiner Mutter, ihr Weinen nicht mehr ausgehalten. Und die Schande, mit der mein Vater uns befleckt hat; alle wussten es, auch in der Schule. Ich konnte es nicht ertragen, dass meine kleine Schwester ihn noch gern hatte, nach allem, was er getan hat.«
    Wieder Stille. Ricciardi ließ den Jungen nicht aus denAugen, seinen kalten Blick, die zusammengekniffenen Lippen. Maione schien, wie immer, bereits halb eingeschlafen; jetzt schaltete er sich ein.
    »Also hast du gewartet, bis die Schule zu Ende war, und bist zu dem Herrenhaus gegangen, stimmt’s? Du bist in ihr Schlafzimmer vorgedrungen, um die schlafende Herzogin zu erschießen. Vier Schüsse hast du abgegeben, dann bist du weggelaufen.«
    Der Junge nickte, starrte immer noch ins Leere. Ricciardi warf Maione einen raschen Blick zu, mit dem er ihn aufforderte fortzufahren.
    »Dann sag mir doch, wie du es geschafft hast zu entkommen? Wie kommt’s, dass niemand dich gesehen hat?«
    Der Junge antwortete mit fester Stimme, als berichtete er, was er morgens in der Schule gemacht hatte:
    »Es war niemand da. Vielleicht aß der Pförtner gerade zu Mittag. Das Tor stand offen, es war heiß, um diese Uhrzeit war niemand auf der Straße.«
    Maione schüttelte traurig den Kopf.
    »Lass gut sein, Junge. Die Herzogin ist nicht tagsüber gestorben; und es wurde nur ein Schuss abgegeben. Sie starb auch nicht in ihrem Schlafzimmer. In der Zeitung steht davon nichts, Gott sei Dank. Da hat’s sich einmal gelohnt, die Verbrechensmeldungen zu verbieten. Du warst es nicht.«
    Andreas Ausdruck blieb unverändert, als hätte er gar nicht zugehört. Doch dann lief ihm eine Träne die Wange herab. Aus Enttäuschung, dachte Ricciardi.
    »Was kann ich dazu schon sagen? Ich könnte stur bleiben, behaupten, dass ich mich geirrt habe. Ich bin erst sechzehn, die Strafe würde milder ausfallen, nicht? Aberdann würde ich immer wieder etwas Falsches erzählen, denn ich war nicht dabei, als die Schlampe starb. Also muss ich es zugeben. Er war es. Es war mein Vater.«
    Maione setzte sich aufrecht hin. Endlich war der Fall gelöst: Wenigstens einmal war der Hauptverdächtige auch der Mörder. Er wandte sich zu Ricciardi – und erkannte an dessen Gesichtsausdruck, dass er nichts verstanden hatte.
    »Nein. Er war’s nicht. Er hat ein Alibi, wir wissen, wo er sich zum Zeitpunkt der Tat aufgehalten hat. Wir wissen auch, wer es stattdessen war, wen du deckst. Allerdings müssen wir es von dir hören. Damit du in nichts verwickelt wirst, damit du unbescholten aus dieser Geschichte rauskommst. Damit wir vergessen können, dass du die Pistole versteckt hast. Und damit dir klar wird, dass eine Straftat eine Straftat ist und bleibt: Selbst wenn derjenige, der sie begeht, vielleicht unschuldiger ist als das Opfer. Also, wer war es?«
    Im freudigen Lärm des Freitagnachmittags, der sich zum Abend hin neigte und die Geräusche auf der Via Chiaia lauter und hoffnungsvoller werden ließ, zeigte Andreas Gesicht sein wahres Alter und löste sich in Schmerz und ein verzweifeltes Schluchzen auf. Unter Tränen sah er Ricciardi an und sagte:
    »Verstehen Sie denn nicht, wie sie gelitten hat? Sehen Sie nicht, dass der Schmerz sie wahnsinnig gemacht hat? Dass ihr nicht klar ist, was sie getan hat, und es ihr nie klar sein wird, meiner armen Mutter?«

    XL    Bitte, Commissario, hier entlang. Nehmen Sie Platz, Brigadiere: Setzen Sie sich dorthin, auf das Sofa. Ich mache etwas Licht, ziehe die Vorhänge zurück, die Tage werden langsam kürzer; aber heiß ist es noch, nicht wahr? Eine furchtbare Hitze, schrecklich

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