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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Mitbürger, ich halte mich möglichst nah am Wasser, immer in der Hoffnung, einen Windhauch zu erwischen. Und Ihr? Unterwegs ins neue Haus?»
    «Richtig. Kommt doch mit, alter Freund. Vor den Wällen fühlt man sich an so einem Abend wie auf einem anderen Kontinent.»
    «Sehr freundlich. Aber ich bleibe lieber beim schwitzenden Volk.» Sonnin grinste über das ganze spitznasige Gesicht. Es freute ihn, dass einer wie Claes Herrmanns in Deputationen gewählt wurde und bei der Verwaltung der Stadt wenigstens ein bisschen uralten hanseatischen Staub aufwirbelte, wenn auch zu Sonnins Bedauern nicht in der Baudeputation. Dennoch ließ er keine Gelegenheit aus, über Ämter und Würden des Freundes zu spotten.
    «Aber bestellt Madame Anne meine vorzüglichsten Grüße, und wenn Ihr auch am Sonntag zwischen Rhabarber und Rittersporn weilt, will ich Euch gerne in Eurem grünen Refugium heimsuchen. Ah, da kommt Reimarus mit seiner Tochter. Lebt wohl und vergesst meine Grüße nicht.»
    Auf dem Gänsemarkt herrschte Trubel. Vor der Wache priesen ein paar Händler, die vor der zu großen Konkurrenz am Jungfernstieg hierher ausgewichen waren, ihre Waren an, aber die meisten Leute drängten sich um einen äußerst befremdlichen Mann. Die Enden eines violetten Stirnbandes waren in sein nahezu schwarzes Haar gebunden, das ihm offen über die Schultern hing. Er stand in der Mitte des Marktes, mit ausgebreiteten Armen, den Kopf weit in den Nacken gelegt, die Augen zum Himmel erhoben, als suche er hinter dem gelblichgrauen Dunst, der den Himmel bedeckte, das klare Blau des nördlichen Sommers. Er stand einfach da, unbeweglich und schweigend.
    «Wer ist das? Haben wir einen Wind- und Regenrufer in der Stadt?»
    «Nein, Vater.» Zum ersten Mal an diesem Nachmittag lachte Christian. «Das ist ein Kometenbeschwörer. Er steht schon seit Tagen da, meistens nachmittags und oft stundenlang. Weiß der Himmel, wie er so lange seine Arme ausgestreckt halten kann. Na ja, mit dem Himmel ist er ja im Bunde, jedenfalls glaubt das eine ganze Menge von Leuten. Habt ihr im Kaffeehaus tatsächlich nur von Geschäften gesprochen?»
    «Von diesem Gespenst jedenfalls kein Wort. Dabei wird da sonst jede Wunderlichkeit kurz- und kleingeredet. Und er? Steht er nur herum, oder redet er auch?»
    «Ab und zu redet er auch, vornehmlich von Reue und Buße. Aber es sind wohl mehr die Leute aus den Hinterhöfen der Neustadt und von Jakobi, die ihm zuhören. Er sagt, dass sich ein Komet am Himmel zeigen werde, und dann sei es aus mit Sodom und Gomorrha an Elbe, Alster und Bille. In Preußen und im Dänischen auch, aber da ist er sich nicht ganz so sicher.»
    Claes grinste. «Und was weiß er Nützliches über das Hannoversche hinter der Elbe?»
    «Bisher nichts, doch vielleicht hat der Komet, der da kommen soll, ihm noch nicht alles verraten. Ich finde ihn ganz unterhaltsam, aber Struensee sagt, man müsste ihn aus der Stadt jagen, die Leute seien sowieso schon verrückt von dem Wetter. Ich denke, es gibt eigentlich keinen Grund, er nimmt nicht mal Geld.»
    Das allerdings fand Claes erstaunlich. «Solange er nicht zum Sturm auf das Rathaus aufruft – lass ihn doch herumstehen und seine Geschichten erzählen.»
    Er schnalzte mit der Zunge, und gerade als sich sein Fuchs mit leisem Schnauben in Bewegung setzte, öffnete der seltsame Prophet die Augen. Es waren helle Augen, ihr Blick traf Claes und ließ ihn nicht los. Die Augen folgten ihm noch, als der Kaufmann unwillig die Fersen in die weichen Flanken des Pferdes drückte und davonritt.
    Sie ritten die Dammtorstraße hinauf, passierten einige hochbeladene Wagen, die sich vor dem Tor stauten, saßen ab und führten ihre Pferde durch den halbdunklen Gang des Tores. Die Wachen salutierten und knallten steifrückig mit den Hacken, der Zollprüfer verbeugte sich und fegte dabei mit seiner Mütze den Staub der Straße. Claes war von jeher gewöhnt, dass die Leute ihn respektvoll behandelten, doch die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, seit er Deputierter war, verursachte ihm oft Unbehagen. Er war nun einmal kein Fürst, sondern ein Bürger, wenn auch in dieser Stadt, die keinem Fürsten unterstand, einer der ersten. Und einer der reichsten. Das allerdings bereitete ihm ein ganz entschiedenes Wohlgefallen.
    Schließlich ließen sie die lärmende, stickige Hitze der Stadt hinter sich. Claes hatte einige Jahre in England gelebt und halb Europa bereist, er kannte Venedig, Livorno, Lissabon, Bordeaux und Amsterdam, im

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