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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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man in Frankreich, meiden ein unglückliches Haus. Für einen Moment atmete er freier.
     
    Zwei Stockwerke tiefer saß Claes im lichten Salon auf der gelben Seide eines Besuchersessels und versuchte in dem Gesicht der Frau zu lesen, die ihm aufrecht mit manierlich im Schoß gefalteten Händen gegenübersaß. Sie hatte ihren Rücken dem Fenster zugewandt, sodass ihre Züge wie schon zuvor auf der Treppe gegen das helle Licht des Tages im Dämmer lagen. Er war nicht nach Altona gefahren, weil er so furchtbar gerne peinliche Gespräche um die Ehre und um mögliche Verfehlungen seines Sohnes führte, sondern weil er eine unsinnige Empörung aus der Welt schaffen und eine Versöhnung herbeiführen wollte. Und nun saß er dieser Frau gegenüber, der verkörperten Erinnerung an seine Jugend, und wusste nicht weiter.
    Tatsächlich hatte er seit vielen Jahren nicht mehr an sie gedacht. Zuerst, weil es zu schmerzhaft war. Später, als er Maria getroffen und geheiratet hatte, weil es keinen Grund mehr gab, um eine verlorene Liebe zu trauern. Hätte ihm noch gestern jemand erzählt, diese unverhoffte Wiederbegegnung würde ihm heute, nach mehr als zwanzig Jahren, weiche Knie bereiten, hätte er gelacht. Aber es gab keinen Zweifel, er hatte weiche Knie. Und auch wenn er in dieser schmalen grauen Gestalt unter der akkuraten Haube der mennonitischen Ehefrau das quirlige, sommersprossige Mädchen von einst kaum mehr wiederfand, spürte er doch diese weiche Stelle in seinem Herzen, die er trotz ihrer schrecklichen Zurückweisung immer für sie bewahrt hatte.
    «Ich gebe zu», sagte sie mit ihrer tonlosen Stimme, die er ebenso wenig wie die schmalen Lippen wiedererkannte, «dass ich ein wenig die Contenance verloren habe, als ich, nun, als ich meine Tochter und Euren Sohn auf diese vertraute Weise in der Diele sah. Ich habe mich unbeherrscht verhalten, und dafür möchte ich mich entschuldigen.»
    Er wünschte, sie möge wenigstens schwer atmen oder ein klein wenig seufzen, aber sie saß ruhig und unbewegt wie eine Statue.
    «Aber ganz sicher werde ich das Verhalten Eures Sohnes nicht entschuldigen. Er war uns als der Freund eines Freundes willkommen, er war immer höflich und zurückhaltend, und ich habe nie daran gedacht, dass er mein Kind – verführen würde, dass er …»
    «Ich bitte dich, Gunda.» Er schaffte es einfach nicht, sie Madame Stedemühlen zu nennen. «Verführen! Sie haben sich umarmt. Ich habe keinen Grund, an Christians Schilderung zu zweifeln. Und seine Absichten sind durchaus ehrbar, das darf ich dir auch in seinem Namen versichern.»
    «Ehrbar, Claes? Das waren deine angeblich auch …»
    «Du hast mich Claes genannt!»
    «Schon wieder ein Fehler», sagte sie streng, aber ein kleines Lächeln schlich sich widerwillig in ihre Mundwinkel, «für den ich mich entschuldigen muss. Monsieur Herrmanns.» Sie erhob sich rasch und trat ans Fenster, aber auch der Blick über den Garten konnte ihre Gefühle nicht mehr im Zaum halten. «Ehrbar! Deine Absichten waren auch ehrbar. Das habe ich jedenfalls geglaubt, ich konnte mir damals einfach nichts anderes vorstellen. Ich war sehr dumm. Und ich bin dafür bestraft worden. Ich hatte dir mein Herz und mein Leben geschenkt. Und du hast es weggeworfen. Du hast alles genommen und mich mit meiner Leichtfertigkeit, mit meiner Sünde alleingelassen. Du hast mich weggeworfen. Wie ein leergetrunkenes Glas.»
    «Gunda.» Er stand nun neben ihr, ganz nah, und traute sich doch nicht, zu tun, was er sich in diesem Moment mehr wünschte als alles auf der Welt: sie in die Arme zu schließen, festzuhalten, zu trösten. Sie zu verstehen.
    «Ich begreife dich nicht. Nicht ich, du warst es, die plötzlich verschwand. An dem Tag, ich werde ihn nie vergessen, niemals, an dem Tag, an dem ich deinen Vater bitten wollte, dich mir zu geben, für immer, warst du verschwunden. Ich habe nie wieder von dir gehört. Sie gaben mir diesen Brief, diese wenigen mageren Zeilen, und schickten mich fort. Wie kannst du sagen, ich hätte dich alleingelassen? Ich wollte mein Leben mit dir teilen, und du bist vor mir geflohen wie vor einem Aussätzigen …»
    Sie schwankte. Er fing sie auf und führte sie zu der gepolsterten Bank neben dem Cembalo. Ihr Gesicht war tränenüberströmt und bleich wie ihre Haube, mit eiskalten zitternden Händen griff sie nach seinem Arm.
    «Sie gaben dir einen Brief? Von mir?»
    «Natürlich. Aber ich verstand ihn nicht, ich …»
    «Mir gaben sie auch einen Brief. Von

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