Der Sommer des Kometen
dir.»
«Was für einen Brief? Ich habe keinen geschrieben. Warum auch? Ich wusste doch, ich würde dich an diesem Tag sehen. Und zwar, so glaubte ich fest, als meine Braut.»
Sie presste beide Hände gegen ihre Schläfen und schloss die Augen, eine steile Falte wuchs über ihrer Nasenwurzel, tief atmend rang sie um Fassung.
Dann öffnete sie die Augen und sah ihn fest an.
«Ich bitte dich sehr, Claes, um unserer Kinder willen, belüge mich jetzt nicht. Bitte, belüge mich nicht. Hast du mir an dem Tag, bevor ich verschwand, wie du es nennst, einen Brief geschrieben? Hast du mir geschrieben, dass du mich nun nicht mehr genug achten kannst, um mich zu deiner Frau zu machen. Hast du diesen Brief geschrieben?»
«Das ist doch absurd, Gunda. Um nichts in der Welt hätte ich so einen Unsinn geschrieben. Ich liebte dich so brennend, du weißt am besten, wie sehr. Ein Leben ohne dich konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Mir war, als müsste ich sterben, als sie mir deinen Brief gaben und die Tür hinter mir ins Schloss warfen.»
«Meinen Brief.» Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. «Was stand in dem Brief?»
«Nicht viel. Umso weniger verstand ich es. Ich war mir deiner Liebe so gewiss. Du schriebst, dass du nach England reisen und mich nie wiedersehen wolltest. Und dass ich deiner nicht würdig sei. Ich wisse selbst, warum. Ich fand das völlig verrückt, ich dachte – o mein Gott, Gunda!» Endlich begriff er die Wahrheit. «In beiden Briefen stand fast das Gleiche. Deine Eltern …»
«… haben die Briefe selbst geschrieben und uns so getrennt. Sie hatten gehofft, dass wir unsere Schriftzüge nicht kannten, und wir hatten uns ja tatsächlich nie geschrieben, nicht einmal ein kleines Billett, aus Angst, jemand könnte es finden. Sie haben mich auf das erste Schiff gebracht, das mit dem frühen Wind bei Sonnenaufgang den Hafen verließ, weil sie wussten, dass ich ihnen dieses eine Mal nicht gehorchen würde. Nein, Claes, ich habe dich nicht verlassen. Sie haben uns auseinandergerissen.»
Sie atmete tief, und langsam kehrte ein wenig Farbe in ihre Wangen zurück.
«Wie konntest du nur glauben, ich würde dich so kalt verlassen, Gunda?»
«Und warum hast du nicht nach mir gesucht?»
Er hatte sie gesucht, in jenen Augusttagen 1744 , aber einfach nicht finden können. Er wusste, dass in den letzten 36 Stunden kein Schiff den Hafen nach England verlassen hatte. Länger konnte sie aber nicht fort sein, sie hatten einander ja vorgestern noch gesehen, im Vorbeigehen bloß, und sich mit der gebührenden distanzierten Höflichkeit gegrüßt, die nur flüchtig miteinander bekannten jungen Leuten zusteht. Er schickte einen Boten nach Altona, und dort hatte, so wurde ihm berichtet, am Morgen eine Schnau nach Amsterdam abgelegt, die auch Fracht für Emden geladen hatte. Von Emden gingen oft Schiffe nach London. Auf diesem Schiff, so dachte er, musste sie sein.
Natürlich wollte er sich sofort auf den Weg nach Emden machen. Auch wenn die Chance, die Hafenstadt an der Emsmündung vor der Schnau zu erreichen, gering war, der Wind stand gut in diesen Tagen, wollte er es doch versuchen, und wenn er sie verpasste, konnte er das nächste Schiff nach England nehmen und sie dort suchen.
Ihre Eltern hatten sich geweigert, ihm genauere Auskunft zu geben, und es war sicher schwierig, sie in der größten Stadt, von der man je gehört hatte, zu finden. Aber er vertraute auf sein Glück und auf die guten Verbindungen, die er seit seiner Lehre in London hatte.
Aber dann konnte er Hamburg nicht verlassen. Sein Vater wurde im Hafen von einem durchgehenden Gespann überrannt, und es war nicht gewiss, ob er dieses Unglück überleben würde. Als einziger Sohn musste Claes seinen Platz einnehmen. Also schickte er Blohm, der mit ihm in London gewesen war und sich genauso gut auskannte, um nach Gunda zu suchen. Der kehrte nach einigen Wochen unverrichteter Dinge zurück.
«Da wusste ich nicht mehr weiter. Und es gab schrecklich viel zu tun, ich war ja plötzlich allein verantwortlich für unseren ganzen Handel. Wir hatten viel Ärger mit den Barbaresken und den Franzosen.»
Seine Erklärung erschien ihm jetzt dünn. Doch, er hatte sie gesucht. Aber als Blohm ohne Nachricht zurückkam, hatte er einfach aufgegeben. Und, aber das würde er ihr nun nicht sagen, mit großem Zorn. Sie hatte ihn verraten. Warum sollte er weiter nach ihr suchen? So hatte er damals gedacht.
Und dann, sein Vater war kaum genesen, sorgten seine
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