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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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nicht zurück. Vergiss mich einfach wieder.»
    «Beruhige dich, Gunda.» Er ergriff ihre Hände und hielt sie warm in den seinen. «Beruhige dich. Ich werde jetzt gehen. Und auch wenn ich dich tatsächlich überhaupt nicht verstehe, werde ich mit Christian sprechen und ihm deine Entscheidung mitteilen. Ich würde dir gerne sagen: Verlass dich auf mich. Aber das kann ich nicht. Bei aller Freundlichkeit hat er seinen eigenen Kopf, einen sehr zielstrebigen Kopf, und ich kann ihn nicht einsperren. Genauso wenig, wie du deine Tochter einsperren kannst.»
    «Nein», sie entzog ihm ihre Hände, «nein, das kann ich nicht. Und ich werde sie auch nicht auf das nächstbeste Schiff verfrachten, falls du das denken solltest. Mein Schiff ging übrigens nicht nach London, sondern nach Lissabon. Deshalb konntest du mich nicht finden. Ich war vielleicht dumm, aber Lucia ist ein verständiges Mädchen. Außerdem ist sie so gut wie verlobt, und gewiss nicht mit deinem Sohn.»
    «Bist du sicher, dass sie das schon weiß?»
    Sie ignorierte seinen bissigen Einwand, schritt eilig zur Tür und öffnete sie weit.
    «Ich weiß nicht, ob ich froh bin, dich wiedergesehen zu haben, Claes», sagte sie mit einem kleinen, zitternden Lächeln. «Ich hatte bis heute nicht gewusst, wie sehr ich mich davor fürchtete, seit wir hier leben. Es tut mir leid, dass es unter so bedauerlichen Umständen geschah. Und nun musst du gehen. Der Kapitän erwartet mich zum Tee. Und, Monsieur Herrmanns, würdet Ihr mich bitte fortan, so wie es sich gehört, Madame Stedemühlen nennen?»

5. Kapitel
    Freitag, den 13. Junius,
vormittags
    Die beiden mächtigen Linden vor dem kleinen Haus nahe der Kirche St. Pauli auf dem Hamburger Berg blühten noch. Ihr Duft lag süß über dem Vordergarten und mischte sich mit den Gerüchen von Phlox, Holunder, Rosen und braunrotem Goldlack. Sonnenblumen leuchteten in sattem Gelb am Rande der Büsche, und in einem runden, von niedrigem Buchsbaum umrahmten Beet in der Mitte des üppigen Gärtchens summte eine dicke Hummel um kurzstielige weiße und zartblaue Blüten, deren Namen Rosina nicht kannte. Irgendwann wollte sie auch so einen Garten haben. Und so ein kleines Haus nahe am Ufer eines großen Flusses.
    «Komm, Rosina, den Garten kannst du dir nachher noch anschauen.»
    Titus klang missmutig. Er kannte Rosinas Gartentraum, und der gefiel ihm überhaupt nicht. Es war ihm auch nicht ganz geheuer, dass eine Hebamme ein so hübsches Anwesen besaß, und so schob er Rosina einfach weiter den Weg entlang zur Haustür.
    Helena klopfte, aber niemand öffnete.
    «Vielleicht sind sie ausgegangen», sagte Sebastian, «oder Matti musste zu einer Geburt.»
    «Oder sie wollen uns nicht hören», knurrte Titus.
    «Lasst uns im Kräutergarten nachsehen», schlug Rosina vor und lief den anderen auf dem schmalen Pfad neben der Hainbuchenhecke um das Haus herum voraus.
    Sie hatte sich nicht geirrt. In dem größeren Garten hinter dem Haus, in dem Matti ein wenig Gemüse und viele Kräuter und Heilpflanzen zog, fanden sie die beiden alten Frauen. Matti hockte in einem der Beete und band die feinen Stängel ihres Bohnenkrauts an stützende Zweige. Lies saß auf einer Bank, den Rücken an das warme Fachwerk des Hauses gelehnt und nähte Leinensäckchen für den Vorrat an heilenden Kräutern und Wurzeln. Rosina lächelte. Lies hatte auf ihren langen Wanderungen und Fahrten so oft gefroren, es war ihr selbst in diesen heißen Tagen niemals zu warm.
    Die Komödianten wurden freudig begrüßt. Matti wusch die Hände in dem kleinen Bach, der am Ende ihres Gartens verlief, Lies packte ihre Näharbeit in den Korb, und alle setzten sich um den Tisch, der im Schatten einer alten Rotbuche stand. Nur Titus verabschiedete sich gleich nach der Begrüßung wieder von den beiden Alten. Er hatte es eilig, seinen Freund Jakobsen, den Wirt der Schenke
Zum Bremer Schlüssel
in der Neustädter Fuhlentwiete, wiederzusehen. Auch mochte er Matti nicht besonders, seit Lies die Komödianten verlassen hatte, um in ihrem Haus zu leben. Er vermisste sie sehr.
    Lies und Matti saßen einander gegenüber auf bequemen Holzstühlen, die eine hager und immer ein wenig grimmig, die andere rundlich mit sanftem Blick aus Augen, die an die Farbe der ersten Veilchen erinnerten.
    Es war mehr als ein halbes Menschenleben her, seit Matti ein ausgehungertes Mädchen unten am Fuß des steilen Ufers gefunden und in ihr Haus mitgenommen hatte. Für Lies, die an jenem Morgen nichts mehr als den

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