Der Sommer des Kometen
genauso geräuschlos wie zuvor ihr Mädchen, voraus in den Salon, der an die Diele grenzte.
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Josua Stedemühlen, oder der Kapitän, wie er allgemein genannt wurde, schlief nicht. Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher, als zu schlafen. Früher, in seinen jungen Jahren, und darunter verstand er die Zeit seines Lebens, die er auf See verbracht hatte, konnte er das zu jeder Tageszeit. Nicht dass er ein behäbiger oder gar fauler Mensch gewesen war. Tatsächlich hatte er immer nur wenig Ruhe gebraucht, aber das Leben auf See war nicht von der Uhr, sondern von Wetter und Wind und der Verantwortung für die Ladung und die Männer auf seinen Schiffen bestimmt gewesen. Es hatte ihn gelehrt, sich, wann immer die Gelegenheit günstig war, den notwendigen Schlaf zu holen. Er war von einer Sekunde auf die andere eingeschlafen und ebenso schnell hellwach geworden, wenn sich die Dünung veränderte, der Wind auffrischte oder ungewöhnliche Geräusche verrieten, dass an Bord etwas nicht so war, wie es zu sein hatte.
Er war nicht gleich an Land geblieben, nachdem er geheiratet hatte. Zunächst machte er zwischen den Fahrten immer längere Pausen. Erst später, als er sich mit seiner Frau und den ersten beiden Kindern in Bristol niedergelassen hatte, nahm er seinen Abschied als Kapitän. Die ersten Jahre in der Hafenstadt am Avon in Englands Südwesten waren friedvoll, er erinnerte sich nicht genau, wann die Albträume angefangen hatten. Sie kamen schleichend, in großen Abständen, und zuerst fand er sie nur lästig. Er sprach nie darüber, und seine Frau, die seine nächtliche Unruhe spürte, gab endlich auf, ihn danach zu fragen. Auch seinem Wunsch, das schöne Haus an der Corn Street nahe St. Nicolas’ Market zu verkaufen und in ein anderes in dem Dörfchen Clifton auf der Höhe über der Stadt zu ziehen, stimmte sie ohne Fragen zu. Die Rückkehr an die Elbe allerdings verweigerte sie, bis er darauf einging, sich zumindest nicht in Hamburg, sondern in Altona niederzulassen.
Als er diese seltsame Ehe schloss, war er schon in den Vierzigern, mehr als doppelt so alt wie sie, ein hagerer, schweigsamer Mann, der den Umgang mit Menschen an Land wenig gewöhnt war. Er hatte diese Braut angenommen wie ein unerwartetes Geschenk und wie eine Aufgabe, die Gott ihm gesandt hatte, und viele Jahre lang geglaubt, sein Gehorsam sei belohnt worden.
Nun war Gottes Nachsicht erschöpft. Vielleicht hätte er sich milder gezeigt, wenn das Mädchen, das er zu seiner Frau bestimmt hatte, so gewesen wäre, wie ihre Eltern glaubten. Aber sie war ihm stets treu ergeben, hatte ihm Kinder geschenkt, nur eines hatte Gott wieder zurückgefordert, und bescheiden, willig und klug sein Haus verwaltet. Im Laufe der Jahre hatte er geglaubt, Gott könne vergessen. Aber natürlich konnte Er das nicht.
Gundas Gott war milde. Seiner war gerecht.
Er schlug die Decke zurück, die sie gegen diese lähmende Kälte seines Blutes wieder einmal vergeblich über seine Knie gelegt hatte, erhob sich und ging zum Fenster. Zwei Gärtner schleppten schwere Kannen mit Wasser vom Brunnen am Ende des großen Gartens, der unter der Hitze zu verdorren drohte, und leerten sie über den Wurzeln der beiden Goldregenbüsche vor dem Pavillon. Aber er sah sie nicht. Er sah über den Fluss, der breit war wie ein großer See, sah über die grünen Inseln, auf denen Vieh graste, sah in den Himmel. Dunst schob sich vor das matte Blau, wie die gelblich graue Leinwand alter spakiger Segel, die schlaff an den Rahen hingen. Die Ruhe vor dem Sturm. Wenn dieser Sturm doch endlich losbrechen würde! Aber er wusste, dass die Erlösung nicht mehr lange auf sich warten lassen konnte.
Erlösung, so hatte er geglaubt, bedeute Gottes gnädiges Verzeihen. Aber das war ein Irrtum, die nichtige Hoffnung eines Menschen. Für ihn war nur die Strafe, die ihn bald, sehr bald erwartete, Erlösung, und er wollte sie annehmen, um Demut bemüht.
Nacht für Nacht hockte er in dem kleinen Turm auf dem Pavillon am Ende des Gartens und starrte in den Himmel über dem Elbhang, in diesen Juninächten, die immer kürzer wurden und die Sterne viel zu schnell verblassen ließen. Er starrte in den Himmel und wartete auf den einen Stern, der keiner war. Auf den Boten, der das Ende anzeigen würde. Die Erlösung. Er war gewiss, dass der prophezeite Komet sein Zeichen war.
Ein Schwalbenpaar flog tief über die Buchsbaumhecken, deren herber Geruch bis in sein Zimmer drang. Die Schwalben, sagte
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