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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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murmelte Gerson. Er starrte immer noch auf das Glas in seinen Händen. «Warum zur Wedde?», fragte er dann. «Billkamp ist tot. Warum sollte man ihn denn jetzt noch der Hexerei, oder lasst mich sagen, der Quacksalberei anklagen?»
    «Weil Rosina glaubt», erklärte Sebastian viel ruhiger, als ihm zumute war, «dass er nicht wusste, was er da besaß und wahrscheinlich auch benutzt hat. Weil ihm diese Salbe vielleicht jemand gegeben hat, der unbedingt
wollte
, dass er verrückt wurde, oder zumindest, dass die Leute ihn für verrückt hielten.»
    Endlich hatte er begriffen, wie wichtig ihr kleiner Diebstahl gewesen war. «So einem glaubt man doch nichts», setzte Rosina seine Erklärung eifrig fort. «Wenn er ein Stück schreibt, in dem ein Skandal, ein Verbrechen, oder was auch immer, bekannt gemacht wird, werden alle sagen, das sei nur ein Zeugnis seines verwirrten Geistes. Und deshalb denke ich, jemand, der etwas verheimlichen muss, hat ihm die Sache gegeben. Vielleicht hat er gesagt, sie sei gut für die Dichtkunst oder so etwas wie ein Jungbrunnen. Irgendetwas, das ihm erstrebenswert erschien.»
    «Starker Tobak», Rohding zupfte sich nachdenklich am Kinn, «aber durchaus möglich. Andererseits könnte er auch schlechtes Mehl gegessen haben. Eine Vergiftung mit Mutterkorn kann sich ganz ähnlich zeigen und ist bei diesem Wetter gar nicht unwahrscheinlich.»
    «Das ist wohl richtig, aber ich habe nichts von schlechtem Mehl gehört, weder in Hamburg noch in Altona», gab Struensee zu bedenken, «und es ist doch recht unwahrscheinlich, dass nur er allein davon gegessen haben sollte. In Billkamps Küche kam sicher nur feinstes Mehl, das feuchte, klumpige gelangt kaum in reiche Häuser.»
    Das gestand Rohding bereitwillig zu. «Allerdings, nur weil da dieser Papierfetzen mit ein paar mysteriösen Kritzeleien …»
    «Wir müssen es ausprobieren», rief Rosina, «das ist doch ganz einfach. Der Napf ist fast leer, aber auch schon ein kleines bisschen …»
    «Auf gar keinen Fall! Wenn Ihr das tun wollt, seid Ihr jetzt schon verrückt.» Struensee war aufgesprungen und stapfte mit ärgerlichen Schritten durch das Zimmer. «Kommt nicht in Frage. Versprecht mir, dass Ihr das nicht tun werdet, Rosina.» Er streckte ihr streng fordernd die Hand entgegen, und sie schlug widerwillig und auch ein ganz klein wenig erleichtert ein.
    «Gut. Ich vertraue auf Eure Vernunft. Ich habe überhaupt keine Lust, so bald wieder im Pesthof Visite zu machen.»
    Er holte fünf böhmische Gläser aus dem Vitrinenschrank und füllte sie mit dem Wein, den die Bilserin in einem kühlenden Krug auf die Anrichte gestellt hatte.
    «Ich könnte natürlich versuchen», er nahm prüfend einen Schluck Wein, «eines von den Schweinen im Hof damit einzureiben.»
    «Schweine sind keine Menschen», wandte Gerson vernünftig ein. «Es wäre kein echter Beweis. Außerdem weiß man bei Schweinen auch sonst nie, ob sie nicht gerade ein bisschen irre sind.»
    Alle schwiegen und blickten auf Struensee. Ihm war deutlich anzusehen, dass hinter seiner hohen Stirn eine Idee reifte. «Wir werden alle darüber nachdenken», sagte er schließlich. «Aber ich bitte Euch, Rosina, zeigt diese Salbe Eurem Kräuterweib. Ihr alle wisst, dass die Quacksalberei mir ein ekles Übel ist. Aber ich muss zugestehen, Lies weiß viel über die alten Künste, und sie kennt sich mit Kräutern und Wurzeln aus wie niemand sonst, den ich kenne. Und nun werde ich dieses Teufelszeug in ein festes Leinensäckchen wickeln, sonst könnt Ihr womöglich doch nicht widerstehen.»
    Es war spät geworden. Vor allem Rohding, der, wie er die andern erinnerte, noch vor der Torsperre durch die Wälle nach Hamburg hineinmusste, war in großer Eile. Und auch Gerson wollte noch einmal in sein Hospital.
    «Rohding», rief Struensee ihm nach, als er schon die Treppe hinunterlief, «könnt Ihr diesen Kometenbeschwörer nicht einmal zu meiner Tafelrunde mitbringen? Ich würde mich zu gerne mit ihm unterhalten.»
    Das allerdings verweigerte Rohding ganz entschieden.

4. Kapitel
    Freitag, den 13. Junius,
vormittags
    Es ging schon auf Mittag zu, als die Kutsche Altona erreichte und durch die Breite Straße rollte. Claes sah zwei Männer mit schwarzen Hüten und leicht gebeugtem Gang in einer schmalen Passage zwischen den Häusern verschwinden. Sicher waren sie unterwegs zur Synagoge der hochdeutschen Juden, die sich in einem Hof zur Kleinen Papagoyenstraße hin befand. Das große, schlichte Backsteingebäude mit

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