Der Sommer des Kometen
den mit dem Davidstern im Strahlenkranz verzierten Fenstern war für Passanten unsichtbar zwischen den Straßenzügen erbaut.
Die Breite Straße trug ihren Namen zu Recht, hier hatten auch fünf Kutschen nebeneinander Platz. Sie war von soliden drei- und vierstöckigen Bürgerhäusern gesäumt, und obwohl das Gebiet zum alten Stadtkern gehörte, war kein Haus älter als fünfzig Jahre. Die Gebäude, die 1711 den großen Brand überstanden hatten, waren zwei Jahre später vernichtet worden, als die Schweden den größeren Teil der Stadt einäscherten. Wenn Claes sich auch manchmal hinter Hamburgs Wällen eingesperrt fühlte, vergaß er nie ihren Nutzen. Die imposante Leistung des holländischen Festungsbaumeisters hatte alle Kriegsherren, selbst die des großen, dreißig Jahre währenden Gemetzels, abgeschreckt.
Das Haus der Stedemühlens, hatte Christian erklärt, sei leicht an den beiden kugelrunden Buchsbäumen links und rechts der Tür zu erkennen. Es stand am Anfang der Palmaille, auf der linken Seite, direkt bevor der steile Weg zur Elbe hinunterführte, der die Van der Smissen’schen Gärten begrenzte und auch nach der Familie benannt war. Natürlich kannte Claes die van der Smissens, die einflussreichsten Kaufleute der Stadt. Sie waren Mennoniten wie die Stedemühlens. Wahrscheinlich, dachte Claes, als die Kutsche vor einem Haus hielt, das nicht viel mehr als zehn Jahre alt sein konnte und trotz seiner Schlichtheit von behäbigem Wohlstand zeugte, hatten sie dem Kapitän bei der Ansiedelung in Altona geholfen.
Brooks kletterte vom Kutschbock und öffnete ihm die Tür. «Wir sind da», sagte er.
«Danke, Brooks. Warte bitte, es wird nicht lange dauern. Aber stell dich unter die Bäume. Da im Schatten ist es vielleicht ein bisschen kühler.»
Die Tür wurde von einem blassen Mädchen mit blassen Augen unter weißblondem Haar geöffnet. Sie war trotz der Hitze ganz in dunkles Grau gekleidet. Ihre Hände waren unter der makellos weißen Schürze verborgen. Sie knickste und bat ihn zu warten, die Herrschaften seien zu Hause.
«Ich will sehen, ob sie jetzt, so kurz vor dem Mittag, noch empfangen.»
Bevor Claes auf diese kaum verhohlene Zurechtweisung eine scharfe Antwort geben konnte, war die Magd geräuschlos wie eine Fee verschwunden.
Die Diele des Hauses war nicht sehr groß. Hier gab es kein Kontor, keine Lagerböden, hier wurde nur gewohnt, und, das musste er zugeben, in dezenter, aber deutlicher Vornehmheit. Aus dem großen Haus, in dem doch viele Menschen leben mussten, drang kein Laut in die Diele. Nicht einmal das Scheppern der Töpfe und Schüsseln, das in seinem eigenen Haus um diese Stunde immer bis unters Dach zu hören war.
Gerade als er den Namenszug des Londoner Uhrmachers entziffert hatte, der die schlanke Standuhr im polierten Mahagonigehäuse samt Datumsanzeige auf dem Zifferblatt geschaffen hatte, hörte er leichte Schritte auf der Treppe.
Ihr Gesicht konnte er nicht gleich erkennen. Er sah nur eine schlanke Gestalt in einem weichfließenden blassgrauen Kleid, das Haar unter einer Haube versteckt, ähnlich der des Mädchens, aber aus zartem, durchscheinendem Stoff und über dem glatten Stirnband zierlich gefältelt. Sie blieb auf dem Treppenabsatz stehen und sah zu ihm hinunter. Durch das große Fenster, das fast die ganze Wand hinter dem Treppenabsatz einnahm, fiel gleißendes Sonnenlicht und ließ ihr Gesicht im Dunkel. Er glaubte ein kleines Seufzen zu hören, aber das war gewiss nur eine Bewegung der Dielen.
Erst als sie langsam die Treppe herunterkam, sah er ihr Gesicht. Ein altersloses Gesicht, das einmal sehr schön gewesen war. Nein, es war immer noch schön mit den großen Augen, nur eine Nuance dunkler als die Farbe ihres Kleides, mit der zierlichen Nase und dem langen Hals, der wie der eines eleganten Vogels aus ihrem weißen Kragen wuchs.
Nur ihre Lippen hatten sich verändert. Sie waren schmal geworden.
Kirschenlippen, dachte er, sie hatte Kirschenlippen gehabt, und flüsterte: «Gunda?»
Sie sah ihn aus diesen großen grauen Augen an, die immer noch ein wenig im Schatten lagen, und nickte. Jetzt erkannte er, dass sich auch ihre Augen verändert hatten.
«Wenn Sie mich bitte Stedemühlen nennen wollen, Monsieur Herrmanns. Madame Stedemühlen. Ich muss den Kapitän entschuldigen, er hat bis zum Sonnenaufgang in seinem Observatorium gearbeitet und muss noch ruhen. Ihr werdet gewiss mit mir vorliebnehmen. Wenn ich bitten darf.»
Sie neigte leicht den Kopf und ging,
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