Der Sommer des Kometen
Liebesdingen.
«Ich bin kein romantischer Mensch, Mademoiselle», fuhr er ruhig fort. «Ich habe mir nie viel Gedanken über die Liebe gemacht. Ich dachte, sie sei einfach da, sie wachse aus sich selbst heraus, wenn zwei Menschen spüren, dass sie zueinander passen. Und dann liebt man sich, egal, was man tut oder wie man aussieht. Das ganze Getändel ist doch nur äußerlicher Schein. Aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Es widerstrebt mir zutiefst, um Liebe zu buhlen. Aber ich will sie nur, wenn auch sie mich liebt.»
«Und Ihr behauptet, Ihr seid kein romantischer Mensch», murmelte Rosina, die mit den Gedanken schon mitten in diesem Projekt war, von dem sie befürchtete, dass es eines ihrer schwierigsten werden würde. Natürlich hätte sie ablehnen müssen, aber konnte sie sich dieses ehrgeizige Experiment entgehen lassen? Vielleicht sollte sie Sebastian um Rat fragen. Aber der Gedanke war noch absurder als dieser ganze Plan. Sebastian könnte selbst ein wenig Übung dieser Art brauchen.
«Ich finde Euren Plan ziemlich verrückt, Monsieur, aber ich fürchte, ich bin dumm genug, mich darauf einzulassen. Wenn Ihr Eure Geschäfte mit der gleichen Zielstrebigkeit verfolgt wie Eure Privatangelegenheiten, kann Eure Zukunft nur rosig aussehen. Obwohl ich das Gefühl habe, dass dieser Gedanke sehr vermessen ist.»
«Dann fangen wir gleich an.»
Rosina lachte vergnügt. Das war genau die Reaktion, die sie erwartet hatte und die ihr gefiel.
«Steht bitte auf.»
Sie führte ihn näher an die weit geöffneten Fenster ins Licht und ging langsam um ihn herum. Dann seufzte sie, seufzte noch einmal, nur sehr viel schwerer.
«Fangen wir mit dem Leichtesten an.» Sie ging zur Tür und rief laut nach Helena. Die stand in ganz erstaunlicher Geschwindigkeit im Zimmer, und nach kurzem Geflüster betrachtete sie Rosinas Gast mit unverhohlener Neugier.
«Dreht Euch um», befahl sie, «nicht so schnell! Langsam, ganz langsam.»
Sie taxierte ihn wie ein Ballkleid, das jahrelang in der Truhe gelegen hatte und nun nach Mottenlöchern abgesucht werden musste, klopfte sich ein paarmal nachdenklich mit dem Zeigefinger ans Kinn und nickte schließlich zufrieden.
«Ich bin ganz deiner Meinung, Rosina. Habt Ihr Geld, Monsieur? Natürlich habt Ihr Geld. Ihr gebt es nur den falschen Leuten, das kann ich sehen. Als Erstes braucht er einen anderen Schneider, Rosina. Und zwar einen, der nicht mehr die Schnitte und Stoffe seines Urgroßvaters verwendet. Und der genug Gesellen hat, um sehr schnell zu arbeiten. Kennt Ihr so einen, oder sollen wir einen für Euch finden?»
Cornelius van Smid hatte mit vielem gerechnet, aber an seiner Kleidung, so hatte er gedacht, sei wirklich nichts auszusetzen. Sauberes solides Tuch, unauffällige Farben, ein schlichter, bequemer Schnitt. Er würde den Rock und auch die Kniehosen viele Jahre tragen, ohne dass sie schäbig aussahen.
Das sei gewiss wahr, wandte Rosina freundlich ein. Solide, unauffällig und schlicht seien bevorzugte Tugenden, wenn man eine Stiftsdame im Konvent an der Hamburger Steinstraße beeindrucken wolle.
«Und natürlich sind Eure Kleider nicht wirklich wichtig. Aber stellt Euch vor, Ihr müsstet aus einer Schale voller Pralinés das beste auswählen. Würde Euch nicht das mit dem delikatesten Zuckerguss den größten Appetit machen? Und nun zieht Euren Rock aus, damit wir Euer Hemd begutachten können. Und, Helena, erinnerst du dich, wie dieser neue Perückenmacher heißt, von dem Jean gestern sprach?»
Um Claes’ Rock stritten die vier Männer nicht lange, den bekam der zweitgrößte, das Hemd der mit dem guten Rock, und die Schuhe, genauer gesagt, was noch von ihnen übrig war, griff sich der kleinste.
Nun fürchtete er um seine Hose, aber der Anführer zog sein Messer aus dem Leibriemen, betrachtete es gelangweilt, warf es mit einer flinken Bewegung aus dem Handgelenk in die Luft und hielt es noch im Auffangen an die nackte Brust seines Opfers.
«Jetzt der Ring», sagte er. «Erzähl mir nich, der geht nich ab. Dann schneid ich ihn ab.»
Claes spürte, wie die Spitze des Messers seine Haut über dem Herzen ritzte, und fror. In seinem Kopf überschlugen sich Gedanken, Pläne, Listen, Fluchten. Nicht den Ring, dachte er immer wieder, nicht den Ring. Sie waren zu viert und gut trainierte Schläger, er war allein, und seine letzte Prügelei lag Jahrzehnte zurück. Er hatte keine Chance, aber er würde sich diesen Ring, der von Generation zu Generation auf den ältesten
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