Der Sommer des Kometen
Herrmanns überging, nicht abnehmen lassen. Er würde …
«Tu’s nicht», sagte da eine fremde Stimme hinter ihm, «das ist natürlich nur ein Rat, aber glaub mir, habîbî, es wird dir schlecht bekommen. Und jetzt gib mir das Messer. Sofort.»
Claes drehte sich nicht um, er war wie versteinert, aber dass hinter ihm ein Retter stand, erkannte er an den schreckensgeweiteten Augen der struppigen Bande vor ihm. Sie starrten den Mann an, dem diese eigentümlich sanfte und zugleich herrische Stimme gehörte, als sei er eine Erscheinung, ganz besonders die große Pistole, die er in der rechten Hand hielt. Die Waffe war mit Silber eingelegt, sicher alt, aber kostbar, gut gepflegt und ganz gewiss schussbereit. Aber das konnte Claes jetzt noch nicht sehen.
«Und nun, Bürschchen», der Fremde griff blitzschnell an Claes vorbei den Anführer beim Kragen und bohrte ihm den Lauf der Pistole in den Hals, «jetzt bringt ihr diesen Herrn sicher an sein Ziel. Wohin wollt Ihr eigentlich?», fragte er.
«Zu Götz Oswald. Ich habe mich in diesen Gängen wohl verirrt, aber es kann nicht weit sein.»
Sein Hals war trocken wie altes Pergament und machte seine Stimme heiser. Er versuchte, das Gesicht des Mannes zu erkennen, doch es war zu finster in dem Gang, und unter der breiten Krempe seines Hutes erkannte Claes nur ein sauber rasiertes und sonnengebräuntes Kinn, beides ungewöhnlich genug in dieser Unterwelt, und den Schemen eines Gesichtes.
«Ihr habt es gehört: zu dem Hof, in dem Götz Oswald wohnt.» Die Pistole, deren Mündung immer noch in den Hals des Räubers drückte, vereitelte jeden Widerspruch. «Sag mir nicht, du weißt nicht, wo das ist, dann puste ich’s aus dir raus. Und wenn du denkst, du kannst uns in irgendein Loch führen – lass es bleiben! Die anderen sind hinter mir. Beeil dich lieber, sonst sind sie hier, und du siehst die Sonne da draußen nie wieder. Los jetzt!»
Barfuß, nur in Leibhemd und Hosen, stolperte Claes hinter der eigenartigen Eskorte her, die er da ganz und gar wider Willen doch noch bekommen hatte, durch ein Gewirr von stinkenden dunklen Kellern, Gängen und Höfen, einen riesigen menschlichen Ameisenhaufen. Immer wartete er darauf, dass einige der Erbärmlichen dieses Schattenreiches den vier Kumpanen zu Hilfe kommen würden, aber auch als sie sich einmal nur mit Mühe durch ein Gewimmel von Menschen, Hunden, Federvieh und Schweinen drängten, schien sie niemand wahrzunehmen. Es war, als wären sie Gespenster. Ein Albtraum, dachte Claes, auch auf dem Weg durch die Hölle blieb man unsichtbar.
Schließlich erreichten sie einen helleren, saubereren Hof, und der Anblick der dünnen Kastanie in seiner Mitte erschien Claes wie ein Symbol für rettendes Licht, für das Leben. Nie wieder würde er über die Bäume in Annes Garten spotten.
Hinter der Toreinfahrt am Ende des Hofes glitten Wagen und Menschen vorbei. Er hörte das Knarren der Räder, und die heisere Stimme eines Straßenverkäufers bot fetten geräucherten Elblachs an. Das musste die Spitalerstraße sein. Die wirkliche Welt, dachte er, aber er war nicht mehr sicher, ob er damit recht hatte.
Die vier Männer waren so plötzlich verschwunden, wie sie aufgetaucht waren, und bevor Claes sich bei seinem Retter bedanken konnte, löste sich auch seine Gestalt im Dunst der Gänge auf.
Er fand den Aufgang zu Oswalds Wohnung schnell. Das Hinterhaus war alt und ärmlich, aber gegen das, was Claes in den Gängen gesehen hatte, geradezu fürstlich. Von der Spitalerstraße hätte er es ohne Mühe gefunden. Hatte Pagerian ihn absichtlich in die Irre geschickt? Aber warum hätte er das tun sollen? Er musste achtgeben, dass er nicht in jeder Verwirrung einen Hinterhalt vermutete. Sicher hatte er dem Schreiber nur nicht richtig zugehört.
Zwei kleine Mädchen saßen im Hof und palten Pferdebohnen, sie zeigten ihm bereitwillig den richtigen Eingang und nannten das Stockwerk. Es kostete ihn Überwindung, in nichts als Strümpfen und Kniehosen einen Besuch zu machen. Aber er wollte Oswald sofort und ungewarnt zur Rede stellen, da blieb keine Zeit, auf Etikette zu achten.
Er kletterte die steile ausgetretene Treppe in den zweiten Stock hinauf und hoffte, Oswald werde ihm für den Rückweg durch die Stadt ein Hemd leihen.
Er klopfte, und eine blasse junge Frau öffnete. Sie sah den halbnackten Fremden erstaunt an, aber sie führte ihn in die kleine Kammer, in der Oswald mit einem anderen an einem weiß gescheuerten Tisch saß. Oswald erhob
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