Der Sommer des Kometen
sich ruhig, senkte leicht, nicht mehr als höflich, den Kopf zum Gruß und sagte:
«So schnell haben wir nicht mit Euch gerechnet.»
Der andere hatte Claes den Rücken zugewandt und drehte sich nun um. Der Besucher war Christian.
Sie starrten einander an, der eine, weil er seinen Sohn hier als Letzten vermutet hatte, der andere, weil er seinen Vater niemals in einer solchen Verkleidung gesehen hatte.
«Um Gottes willen, Vater, was ist passiert?»
Christians Stimme verriet besorgtes Erschrecken, aber sein Gesicht zeigte eindeutig völlig unpassendes Amüsement.
«Das werde ich dir später erzählen. Würdest du mir bitte zuerst verraten, was du hier zu suchen hast?»
«Sicher, Vater. Aber du siehst wirklich schrecklich aus, und mit Verlaub, du riechst auch nicht besonders gut.»
«Wenn der Herr sich zuerst ein wenig erfrischen möchte», sagte eine leise Stimme hinter Claes, «ich habe in der Küche eine Schüssel mit Wasser bereitgestellt.»
«Danke, Gerlinde, das ist sehr nett. Geh erst mal in die Küche, Vater, Götz läuft dir nicht weg. Er ist genauso begierig herauszufinden, wer Marburger erschlagen hat. Aber warum hast du mir nicht gesagt, dass du schon heute mit ihm reden willst? Ich hätte dich doch mitgenommen.»
Selten hatte Claes das warme, brackige Wasser, das die Leute aus den Fleeten schöpften, oder, wenn sie es sich leisten konnten, bei einem der vielen Wasserträger kauften, so erfrischend gefunden.
Als er wenig später mit Christian, Oswald und Gerlinde an dem schmalen Tisch saß, fühlte er sich beschämt von der Freundlichkeit, mit der er hier empfangen wurde. Es würde ihn Mühe kosten, seine Urteilskraft davon nicht beeinflussen zu lassen. Götz Oswald mochte ein freundlicher Mensch mit einer sanften, taktvollen Frau sein, aber konnte so einer nicht auch aus Hass und Verzweiflung zum Mörder werden?
9. Kapitel
Samstag, den 14. Junius,
abends
Das matte Rot, das die untergehende Sonne auf den Himmel über den Bäumen der Alsterniederung gemalt hatte, verblasste schnell. In einer halben Stunde schon würde es ganz dunkel sein. Anne stand unter einer Weide am Ufer und sah über die Außenalster zur Stadt. Auf den Wällen bewegten sich winzig wie Ameisen die letzten Spaziergänger, Laternenträger warteten auf der Bastion Vincent, um ihre Kundschaft sicher durch die dunklen Straßen nach Hause zu begleiten. Die matten Nachtleuchten schwankten auf ihren Stangen wie müde Glühwürmchen. Auch in den Häusern, deren obere Stockwerke die Wälle überragten, wurden schon die Kerzen und Rüböllampen entzündet. Der See war ruhig wie dunkler, rötlich schimmernder Satin, auch das letzte Boot lag längst vertäut in den Schuppen und bei den Anlegern. Aber Claes war immer noch nicht heimgekehrt. Langsam ging sie durch den Park zurück zur Terrasse. Aus dem Haus drang leises Klappern von Geschirr, Elsbeth, die mit Blohm am Nachmittag aus dem Neuen Wandrahm wieder herübergekommen war, deckte den Tisch für das späte Abendessen.
Es war immer noch schwül. Anne sah zum Himmel auf. Die Sterne nahmen ihre Plätze ein, und sie hielt nach dem Kometen Ausschau. Sie hatte erst einmal einen dieser geschweiften Himmelsboten gesehen und war begierig, diesen neuen zu entdecken. Auch wenn sie ihn nicht fürchtete, jedenfalls nicht wirklich, würde es aufregend sein, zu beobachten, wie er über die Stadt und den See wanderte.
Sie sehnte sich so sehr nach Aufregung. Als sie ihr stilles Jersey verlassen hatte, freute sie sich auf das turbulente Stadtleben, und tatsächlich genoss sie die Konzerte, das Theater, die Maskenbälle und Soireen wie ein hungriges Kind, dem man eine große bunte Torte vorsetzt.
Aber als der Winter zu Ende ging, als das Eis auf der Elbe schmolz und die ersten Schiffe ihre Segel setzten, wurde sie unruhig. Die Vergnügungen, die sie bisher als erheiternd, die Gespräche, die sie als anregend und interessant empfunden hatte, erschienen ihr plötzlich schal. Sie wusste zuerst nicht, warum, es waren ja dieselben Menschen, und ganz sicher bot diese Stadt viel mehr als das verschlafene St. Aubin auf der entlegenen Insel im Englischen Kanal. Aber der matte Fleck auf ihrer Seele wurde trüber, und manchmal, wenn sie am Hafen die mächtigen Segler sah, die sich schwer beladen auf ihre langen Reisen die Elbe hinunter und über die weiten Meere machten, wurde die Unruhe in ihrer Brust zu einem drängenden Schmerz. Dann lief sie auf die Wälle und lief und lief, bis ihr Gesicht gerötet, ihr
Weitere Kostenlose Bücher