Der Sommer des Kometen
Geist klar und ihr Gemüt wieder heiter waren. Manche Leute in der Stadt meinten, Claes Herrmanns habe vielleicht eine Lady geheiratet, aber keine Dame.
Es lag nicht an Claes. Die Ehe gefiel ihr besser, als sie zu hoffen gewagt hatte, auch wenn es hin und wieder verwirrend war, einander so nah und sich doch oft so fremd zu sein. Aber weil das Nahsein häufiger war, und das Fremdsein stets schnell verging, sorgte sie sich nicht.
Nein, Claes war wirklich nicht die Ursache. Ihre Liebe zueinander wuchs, und gerade deshalb quälte sie diese Unruhe so sehr. Nicht, was sie gewonnen, sondern was sie für ihr neues Leben aufgegeben hatte, bedrückte sie. Anne Herrmanns vermisste die Arbeit, die die Tage der Anne St. Roberts ausgefüllt hatte. Sie vermisste sie sogar ganz schrecklich. Auch wenn sie selbst nicht um die Welt gereist war, die Arbeit im Kontor hatte ihre Gedanken doch mit den Westindischen Inseln, den amerikanischen Kolonien, mit Frankreich und Spanien, mit Ostindien sogar oder der afrikanischen Küste verbunden. Der Handel, die Risiken der Geschäfte, die Verantwortung über Gewinn und Verlust waren auch Abenteuer gewesen.
Früher, wenn sie schon mit der Sonne aufgestanden und nach einem eiligen ersten Frühstück in das Kontor und die Speicher in dem kleinen Hafen geeilt war, hatte sie sich oft gewünscht, das behaglichere, überschaubare Leben der anderen Frauen zu führen. Es musste doch recht angenehm sein, nur einem Haushalt vorzustehen, so hatte sie damals gedacht, sich um den Garten und die Familie zu kümmern, genug Zeit für die vielen Gäste des Hauses zu haben, auch für die Bedürftigen im Dorf und sogar ab und zu für eine hübsche Stickerei. Natürlich dachte sie bei diesen Träumen von der heimischen Idylle nicht an die Frauen in den kleinen Gehöften aus grauem Stein oder den engen Häuschen der Handwerker und Tagelöhner, sondern an ihre Freundinnen in den bequemen Bürger- und Herrenhäusern. Die beklagten sich zwar auch häufig über ihre geschäftigen Tage, aber die wirkliche Last luden sie doch bei Wäscherinnen, Köchinnen, Gärtnern und Stubenmädchen, die Kinder bei Nannys, Hauslehrern und Gouvernanten ab.
Auf der Insel und auf den Schiffen, die dort anlegten, wusste jeder, dass nicht Paul, sondern seine jüngere Schwester Anne die eigentliche Herrin des Handelshauses war. Mochten auch viele Anne St. Roberts für recht schrullig oder gar männlich gehalten haben, weil sie wie ihr Bruder Tag für Tag mit tintenfleckigen Fingern und staubigen Kleidern, den Kopf voller Zahlen und Lieferlisten im Kontor und auf der Pier anzutreffen war, sie hatte die Arbeit doch immer genossen. Und nun?
Der Herrmanns’sche Haushalt lief unter Elsbeths Führung ganz und gar von selbst, was ein Glück war, denn Anne hatte keine Ahnung von dessen Geheimnissen und tatsächlich weder Talent noch Neigung zu den vielfältigen Aufgaben einer Hausfrau, und wenn sie Claes mit nur mühsam verhohlener Wissbegierde nach seinen Geschäften fragte, antwortete er heiter, damit müsse sie sich nicht belasten, und plauderte über Dinge, die ehrbare Frauen zu interessieren hatten. Und ihr neuer Baumgarten? Der erforderte in der Tat viel Planung und Pflege, und auch wenn er genauso zu werden versprach, wie sie es sich gewünscht hatte, wuchs er nun, einmal angelegt, fast von allein. Es war hübsch, taunasse Rosen zu schneiden, das Haus mit Blumen zu schmücken und dem Gärtner beim Aufbinden der Büsche zuzusehen. Für eine Stunde. Oder für zwei. Aber die anfängliche Lust, die hohe Kunst der Gärtnerei tiefer zu ergründen, war längst verflogen.
Und nun? In den letzten Wochen ertappte sie sich immer wieder dabei, wie sie durch die großen Wandfenster in der Diele in das Kontor starrte und selbst Dübbel und Fietz beneidete, weil sie an dieser aufregenden Welt des Handels teilhatten. Sie hatte geglaubt, die Liebe werde ihr Leben ganz ausfüllen. Aber das stimmte nicht.
Eine Nachtigall schlug, sie klang seltsam rau, und Anne wischte ihre Gedanken energisch fort. Sie hatte sich für dieses Leben entschieden, und sie würde das Beste daraus machen. Es war ein gutes Leben, und sie fand es vermessen, darüber zu klagen.
Die Nacht war nun ganz dunkel, der Mond, nur eine schmale Sichel tief über der Vorstadt St. Georg, gab kaum Licht, und obwohl die Stadt so nah war, fühlte sie sich plötzlich allein wie auf einem verlassenen Planeten. Es raschelte hinter der Ligusterhecke, die das runde Bassin um den Springbrunnen gegen
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