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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Ich musste gar nichts dazu tun. Alles, was ich sah, wurde etwas anderes. Was hatte ein gehorsamer Hund mit dem Fjord zu tun? Nichts. Das war ja gerade der Witz. Ich schuf meine eigenen Worte, meine eigenen schönsten Worte, durch die ich zur Ruhe kommen konnte. Ich zog mich aus und ging auf das Sprungbrett, legte mich dort hin. Der herrliche Regen. Der herrliche Schatten im Regen. Diese sanfte Kühle. Es hätte so schön sein können. Es hätte alles in bester Ordnung sein können. Aber ich war zu verstört. Ich kam nicht zur Ruhe. Und Ruhe war das Einzige, was ich brauchte. Ich erinnere mich, nicht, als ob es gestern gewesen sei, sondern als ob es die ganze Zeit war, an den rauen, schroffen Jutebelag, mit dem das Sprungbrett überzogen war. Ich kann immer noch die Muster auf der Haut sehen, wenn ich mit dem Rücken zum Spiegel dastehe und mich selbst ausspioniere, und diese Muster erinnern an Waffeln, die auch nichts mit der Sache zu tun haben, ich meine, Sprungbrett, Jute und Waffeln sind nicht das Erste, was einem so einfällt, mir jedoch schon. Das geschieht in regelmäßigen Abständen, dann rast eine Lawine von Bildern in mir herab, und ich werde mitgerissen. Irgendwann zog der Regen vorbei und hinterließ ein fahles Licht, das mir Kopfschmerzen bereitete. Ich musste mich hinhocken und die Augen bedecken. Als ich nach einer Weile wieder klar sehen konnte, entdeckte ich das Boot, es war dabei, Signalen zu umrunden. Die Dreierbande alberte wie immer herum. Sie standen auf den Ruderbänken, jeder hatte einen Schwimmgürtel umgeschnallt, aber der Kork war gegen Bierflaschen ausgetauscht worden. Lisbeth hing wie ein toter Seehund im Bikini über der Reling. Ich glaube, sie übergab sich. So hoch war die See gar nicht. Es lag wohl eher an all den Wellen. Diejenige, die Heidi hieß, saß an der Ruderpinne. Mir gefiel es, wie sie das Holz hielt. Glücklicherweise hatten sie mich nicht gesehen. Ich zog mich an und ging hoch zum Haus. Mutter saß auf der Terrasse und las die Zeitung. Von der großen Markise tropfte es. Sie erschien mir plötzlich so einsam, so verlassen. Nach welchen Neuigkeiten suchte sie? Mir tat sie leid. Das war nicht richtig. Niemandem soll seine eigene Mutter leid tun. Es war meine Schuld. Ich setzte mich zu ihr.
    »Steht was drin?«, fragte ich.
    »Nur das Übliche. Ist das nicht merkwürdig? Dass irgendwie im Sommer nichts zu passieren scheint.«
    »Steht auch nichts über den Mond drin?«
    »Nur dass der Countdown läuft.«
    Mutter schaute mich über die Zeitung hinweg an und lächelte unsicher. Ich wollte nicht, dass sie so lächelte.
    »Das ist ja fast wie mit deinem Gedicht«, sagte sie. »Der Countdown.«
    Ich nickte und wollte es wiedergutmachen.
    »Übrigens kannst du sie ausleihen.«
    »Die Mondkugel?«
    Mutter schaute lachend von der Zeitung auf.
    »Die Schreibmaschine«, sagte ich.
    »Wenn sie frei ist, meinst du?«
    »So in der Art. Sie ist meistens frei.«
    »Schaffst du es nicht, etwas zu schreiben?«
    »Sieht nicht so aus.«
    »Wie viele Finger benutzt du?«
    »Zwei.«
    »Dann geht es ziemlich langsam, nicht wahr?«
    »Ja, und?«
    »Wäre es nicht schöner, wenn es schneller ginge?«
    Ich musste Nachsicht mir ihr haben.
    »Na, es kommt wohl nicht gerade auf die Geschwindigkeit an. Ich muss ab und zu ja auch ein bisschen nachdenken, nicht wahr?«
    »Oder träumen.«

7
    N ach Mitternacht schlich ich mich hinaus. Der Himmel streute Zucker über den Fjord, und der Mond rührte mit einem gelben Löffel um. Es war abgemacht, dass wir uns an den Badeschuppen treffen wollten, wo das Boot vertäut lag. Ich lief durch die scharfgestellte, kühle Dunkelheit. Ich war unüberwindlich. Heidi war bereits gekommen. Sie wartete auf mich. Wir hatten die ganze Nacht für uns. Ich half ihr an Bord, löste die Vertäuung, startete den Motor und setzte mich an die Ruderpinne. Dann tuckerten wir um Signalen herum, wo der Leuchtturm, der tote Leuchtturm, uns zublinkte, und wo Iver Malt nicht mit dem Fernglas stand, das ich ihm gegeben hatte, und uns nicht beobachtete. Wir wollten niemanden wecken. Wir waren leise wie eine Nähmaschine, deren Riemen gerissen war, und schlossen Säume im schwarzen Wasser. Bald konnten wir Ildjernet sehen, Steilene, den Drøbaksund und die Lichter des Færder fyr. Der Himmel ließ immer noch Zucker über den Fjord rieseln, und der Mond rührte in der Tiefe um. Heidi setzte sich neben mich und legte ihre Hand auf meine, die die Ruderpinne hielt, und so konnten wir beide

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