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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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dichten. Die Mädchen mögen sonnengebräunte Jungs, weißt du. Nicht solche Stubenhocker, die den Kopf hängen lassen. Du bist ja kreidebleich, mein Junge! – Und Sie sehen aus wie ein einziger großer Leberfleck. – Möchtest du mit uns eine Tasse Tee trinken? – Das ist das Allerletzte, was ich möchte. Ich kann mir nichts vorstellen, was ich weniger möchte, als mit Ihnen Tee zu trinken. – Er will sicher dichten. Vielleicht hat er eine Inspiration. – Ja. Ich habe die große Inspiration, mich zu übergeben. Und aus Rücksicht auf Sie werde ich jetzt in mein Zimmer gehen und dort kotzen. Das eröffnete so einige Möglichkeiten. Ich konnte ganz einfach die Welt der anderen in die Knie zwingen und alles zu meinem Vorteil verkehren. Doch das einzige Wort, das dort allein auf dem Papier stand, war immer noch Monduntergang . Alles, was in uns ist, ist unsichtbar. Deshalb gibt es das nicht. Wieder fiel ich. So bin ich nun einmal. Ich bin hoch und tief zugleich. Es klopfte. Das war meine Mutter. Ich drehte mich nicht um.
    »Sitzt du hier drinnen? Bei dem schönen Wetter?«
    »Offensichtlich.
    »Willst du nicht lieber runterkommen und schwimmen gehen?«
    »Siehst du nicht, dass ich arbeite? Bist du blind?«
    Mutter stand nur schweigend da. Ich konnte sie gerade so im Widerschein des Fensters erkennen, eine undeutliche Gestalt, die in sich und aus sich heraus zu gehen schien. Auf jeden Fall würde ich nicht derjenige sein, der als Erstes etwas sagte.
    »Du warst lange fort«, sagte Mutter.
    »Musste auf die Zeitung warten.«
    »Ach so. Ich kann dir ein neues Ei kochen.«
    »Ist die Alte weg?«, fragte ich.
    »Was sagst du da?«
    Ich machte mir die Mühe, die Worte so deutlich auszusprechen, wie es nur möglich war. Mutter hörte offenbar schlecht, das lag an dem Zweig der Familie, auf dessen äußerstem Ast ich saß.
    »Ist, Komma, Frau, Komma, Freundlichkeit in Person, Komma, Gulliksen, Komma, gegangen?«
    »Was ist nur mit dir los?«
    »Nichts. Warum fragst du? Soll etwas mit mir sein?«
    »Es scheint nur so. Ist etwas passiert?«
    »Ob etwas passiert ist? Passiert jemals etwas auf Nesodden? Nicht dass ich wüsste.«
    »Heute bist du aber verdreht, Chris.«
    »Bist du sicher, dass du nicht diejenige bist, die verdreht ist?«
    »Warum hast du die Konservendose nicht zurückgegeben?«
    »Weil Iver Malt nicht zu Hause war.«
    »Du hättest sie doch einfach dort hinlegen können.«
    »Das hätte ich. Aber ich habe es nicht.«
    »Was habe ich denn Falsches gemacht, Chris?«
    Ich drehte mich zu ihr um. Sie hatte meine Badesachen mitgebracht.
    »Warum hast du dieser Ziege erzählt, dass ich schreibe?«
    »Chris! So redet man doch nicht! Was ist denn nur mit dir los?«
    »Warum hast du das gemacht? Warum hast du Frau Gulliksen erzählt, dass ich schreibe?«
    »Aber mein Lieber. Ist das so schlimm?«
    »Ja. Das ist so schlimm. Willst du morgen vielleicht noch eine Anzeige in die Aftenposten setzen?«
    Ich sah, dass Mutter unglücklich war. Sie legte Handtuch und Badehose auf das Bett.
    »Ich wusste nicht, dass das ein Geheimnis war, Chris.«
    »Aber das ist es. Und ich hoffe, dass du das jetzt kapierst.«
    »Ich bin doch nur so stolz auf dich.«
    Mutter schloss langsam und ohne einen Ton die Tür. Ich blieb sitzen. War sie stolz auf mich? Das hatte sie zumindest gesagt, und Mutter sagte selten etwas, was sie nicht meinte, und wenn, dann nur, wenn die reine Höflichkeit sie dazu zwang. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Ich konnte nicht länger mit schlechtem Gewissen hier sitzen und nicht ein Wort schreiben, nur weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Ich nahm mein Badezeug und ging hinunter zum Hornstranda, was eigentlich gar kein Strand ist, sondern nur Felsen. Überall lagen die Leute in der Sonne herum, es war kaum noch ein Platz zu finden. Zum Glück kannte ich niemanden und niemand kannte mich. Das Boot konnte ich auch nicht sehen, nur träge Segelboote und die eine oder andere Jolle. Dann zog ein breiter Schatten vorbei und saugte alles Licht in sich auf. Kurz darauf fing es an zu regnen. Die Leute rissen die Sachen an sich, packten alles schnell zusammen und liefen davon. Ich verstand sie nicht. Erst badeten sie, aber als das Wasser von oben kam, gerieten sie in allerfeinste Panik. Bald waren alle Felsen leer. Ich freute mich. Mir gefiel das Geräusch des Regens, besonders wenn die Tropfen den Fjord trafen, der plötzlich wie ein gehorsamer Hund still dalag. Solche Bilder schuf ich. Eigentlich kamen sie von selbst.

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