Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
Besonderes?«
»Erzähl uns doch, worüber du dichtest, ja?«
»Über alles Mögliche. Von jedem etwas. Dies und das. Nicht viel.«
»Du dichtest sicher auch über den Mond? Das machen doch momentan alle, oder? Über diesen Käse da oben!«
Frau Hol der Teufel Gulliksen meinte offenbar, dass sie lustig war und ein Lachen verdient hatte. Sie lachte. Ich hätte das Gewehr unten bei Iver Malt holen und ihr ein Ende setzen sollen. Stattdessen ballte ich die Fäuste hinter meinem Rücken, war verlegen und höflich und kurz davor, den Verstand zu verlieren. Ich hätte in einem Aufwasch auch gleich mit Mutter Schluss machen können.
»Na, das ist wohl nicht zu vermeiden, nein. Der Mond, meine ich.«
»Aber du solltest dich ab und zu ein wenig sonnen. Nicht nur dichten. Die Mädchen mögen sonnengebräunte Jungs, weißt du. Nicht solche Stubenhocker, die den Kopf hängen lassen. Du bist ja kreidebleich, mein Junge.«
»Nein. Ja.«
»Möchtest du mit uns eine Tasse Tee trinken?«, fragte Mutter.
»Nein, vielen, vielen Dank.«
Witwe Harfe Gulliksen beugte sich über den Tisch vor und flüsterte Mutter zu: »Er will sicher dichten. Vielleicht hat er eine Inspiration.«
Ich ging in mein Zimmer hoch, wusch mir die Hände und warf das Seifenstück an die Wand, schmiss den Stuhl um, verteilte die leeren Papierseiten auf dem Boden und trampelte auf ihnen herum. Nichts durfte ich für mich haben. Ich musste aber etwas für mich allein haben, wenn ich nicht ersticken wollte. Ich brauchte eine Hintertür, durch die ich weglaufen konnte, einen Notausgang, wenn es mir unter den Füßen zu heiß wurde. Ich hatte das Schreiben. Niemand durfte es beschmutzen, und Gnade demjenigen, der es doch tat. Ich räumte auf und setzte mich. Es hieß jetzt oder nie. Wie meistens war es Nie, und allein das Wort erschreckte mich zu Tode. Größere Worte gab es nicht. Man konnte in ihm verschwinden, für alle Zeiten weg sein. Man konnte im Nie versinken und dort bleiben. Nie bedeutete für den Rest des Lebens, und das war unerträglich. Ich hoffte so lange wie möglich, dass es Jetzt war. Ich hoffte immer, dass es Jetzt war und nicht Nie. Aber es war zu spät. Ich kam nicht vom Fleck. Der Mond stand still auf dem Papier, das sich zurücklehnte und gähnte, als würde es sich zu Tode langweilen und wollte mich verhöhnen. Das Geräusch des Schusses klang mir noch in den Ohren. Wenn ich das eine Auge schloss, konnte ich Iver Malt immer noch über der Kimme sehen. Mein Auge war zu einer Kimme geworden. Ich kam nicht vom Fleck, nirgends hin, ich kam nicht vom Fleck, vom Fleck kam ich nicht. Ich war kurz vorm Heulen. Stattdessen führte ich ein neues Gespräch mit allen Stimmen, die ich in mir hörte, und das sollte ungefähr so lauten: – Na, wer kommt denn da. Ich hätte dich fast nicht wiedererkannt. – Ich Sie auch nicht. – Du bist aber gewachsen. – Und Sie sind kleiner geworden. Viel kleiner. Sie schrumpfen ja. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen? Dass Sie schrumpfen? Bald sind Sie einfach weg. – Ja, ja. Wie die Zeit läuft. – Sie läuft Ihnen davon, Frau Lotsenlos Gulliksen. – Wie geht es deinem Fuß? – Das will ich Ihnen sagen. Sobald Sie sich umgedreht haben, wird mein Fuß Sie in Ihren unglaublich dicken Hintern treten, und das wird meinem Fuß eine reine Freude sein. – Und ich habe gehört, dass du unter die Dichter gegangen bist? – Soll ich ein oder zwei Hummeln holen, damit Sie in Ihren Tee kommen? Die Hummeln sind dieses Jahr besonders gut. Und außerdem hoffe ich, dass Sie dabei langsam ersticken. – Ich habe es doch immer schon gewusst. Dass etwas Besonderes an dir ist. Und da hätte ich Frau Furie Gulliksen unterbrochen, mich hinuntergebeugt und ihr die Oberseite meines Kopfs gezeigt, mitsamt beiden Schläfen. Sehen Sie die Scharten, gnädige Frau? Schauen Sie genau hin. Es sind die Scharten, die etwas Besonderes sind. Sehen Sie, wie tief sie sind? Wenn Sie Glück haben und das Wetter gut ist, können Sie bis in mein Gehirn hineinschauen. – Erzähl uns doch, worüber du dichtest? – Über Fotzen. – Du dichtest sicher auch über den Mond? Das tun doch momentan alle, nicht wahr? Über diesen Käse da oben! – Sie sind so witzig, Frau Lachanfall Gulliksen! Sie sind einfach unglaublich witzig. Wollen wir uns gemeinsam ein wenig totlachen? Nein, ich glaube, ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, der Käse da oben! Sie bringen es auf den Punkt! – Aber du solltest dich ab und zu ein wenig sonnen. Nicht nur
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