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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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lenken, dorthin steuern, wohin wir wollten. Ich bereitete alles vor, was ich sagen wollte, und damit alles, was ich tun wollte. Wenn nicht jetzt, dann nie. Ich war mir meiner Sache sicher. So sicher war ich lange nicht mehr gewesen. Ich lehnte mich an ihre Schulter, eine schöne Eröffnung. Unübertroffen. Ich war ganz interessiert an ihrem Rücken. Der Rücken wird unterschätzt. Der Rücken wird missbraucht. Der Rücken ist das Schönste, was wir haben. Ich strich mit den Fingern die gewellte Säule entlang. Sie ließ es geschehen. Sie ließ mich weitermachen, mit einer Hand auf der Ruderpinne, meine Hand in ihrer, und mit der anderen Hand auf großer Reise in ihrer Haut, immer noch von außen, diese zögernden Gesten, die mich nach innen führen sollten. Der Mond rührte um. Ein Lastkahn fuhr vorbei, Eisen im Wasser, zwei Fenster dicht über dem Wasserspiegel, die aussahen wie weiße Brunnen, die nach Westen sanken, und erst glaubte ich, es wären nur die Wellen dieses schweren Nachtschiffs, oder das harte Kielwasser, das uns erschütterte, aber es nahm gar kein Ende, es wurde nur immer schlimmer und schlimmer. Wind und Wasser zogen und zerrten an dem Motorboot, wir blieben in Schaum und Sturzwellen stecken, bevor alles sich beruhigte, langsam aber sicher, wie ein Tanz, der in einer Bewegung nach der anderen erstirbt, bis der letzte Muskel entspannt ist, der Äußerste in deinen Gedanken, der letzte unten in deinem Terminkalender, während gleichzeitig eine andere Kraft übernahm, eine lautlose Energie, wie in einem uns wohlgesonnenen Zirkus, in dem Staub, in dem Wasser, das dachte ich, das konnte ich gerade noch denken, bevor die Gedanken mich ihr entrissen, sie trieben mich schon damals davon. Heidi verlor den Halt und fiel auf die Bretter, die Ruderpinne wurde mir aus der Hand gerissen, und ich legte mich über sie, nie hatte ich so große Angst gehabt, nie war ich glücklicher gewesen. Wir werden sterben, sagte Heidi. Da wurden wir von Scheinwerfern geblendet. Die Rettung kam, die Rettung und die Störung kamen. Mutter rief etwas von der anderen Seite. Achtung, eine Warnung! Die Tanten kommen! Einen Moment lang dachte ich, während der Schlaf mich in einer Manege aus Applaus und Sägespänen verließ: Das ist wirklich. Das ist genauso wirklich. Bist du jetzt reingelegt worden? Bist du enttäuscht? Das hätte wahr sein können. Die Träume sind meine Fortsetzung. Meine Träume beginnen so.

8
    A chtung, eine Warnung! Die Tanten kommen!
    Ich stand auf dem Anleger und sah, wie die Prinsen anlegte, das sogenannte Papaboot, das die Strohwitwer aufs Land verfrachtete, wo sie für eine kurze Weile den Sommer zusammen mit ihren Familien genießen sollten, bevor sie am Sonntagabend wieder kehrtmachen mussten, um ihre Plätze in den Büros einzunehmen, und dagegen hatten sie sicher nichts einzuwenden. Sie trugen graue Hosen, deren Bügelfalten geschmolzen waren, und weiße Hemden mit Schweißringen so groß wie Treckerreifen unter den Armen, und ihre hochroten Gesichter glänzten. Sie sahen aus wie Clowns, diese ernsten Männer, sie sahen aus wie Clowns im Zirkus des Sommers. Wahrscheinlich, oder fast sicher, hatten sie nicht nur ein Bier am Anleger in der Stadt getrunken, um Mut für die Abfahrt zu bekommen, und um nicht zuletzt gute Ausreden und Lügen zu finden, denn die Strohwitwer hatten immer etwas, was sie nicht sagen durften, unter anderem auch, dass sie auf Skansen vor dem Ablegen Bier getrunken hatten. Es war also Samstag. Mitten unter diesen komischen Herren befanden sich also die Tanten, genauer gesagt vier Stück, die einzigen Damen an Bord an diesem Samstag. Sie standen dicht beisammen und hielten die schwankenden Kerle mit ihren Stöcken in gebührendem Abstand, auch wenn ich meine Zweifel hatte, dass einer dieser Menschen sich freiwillig über sie stürzen würde. Da tauchte Iver Malt aus dem Nichts auf und kam zu mir, die Hände auf dem Rücken, ohne Angelzeug, barfuß wie immer. Mir war nicht wohl bei seinem Anblick.
    »Wartest du jetzt auf deinen Vater?«, fragte er.
    »Ja, auch auf ihn. Angelst du nicht?«
    »Hab genug Fisch.«
    »Genug Fisch? Wie viel ist denn genug Fisch?«
    »Genug Fisch hast du, wenn du genug zu essen hast. Glaubst du, ich angle zum Vergnügen?«
    »Und verrostete Kinderwagen und Fahrradreste? Wann hast du genug von denen?«
    »Wenn mein Vater genug hat.«
    »Und wann hat er genug?«
    »Selten.«
    Ich schaute wieder zur Fähre, konnte meinen Vater aber nirgends entdecken. Dabei

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