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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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reichlich dumm ausgesehen. Dass du es nur weißt.«
    »Nicht so dumm wie du. Das geht gar nicht.«
    »Du hast die Hände hochgehoben! Hast du denn wirklich geglaubt, dass ich schießen werde?«
    »Warum nicht?«
    »Was liest du da?«
    Mir war die Luft ausgegangen. Ich fühlte mich nur noch schwer, verfroren und dumpf im Kopf. Iver antwortete nicht.
    »Was liest du?«, wiederholte ich.
    Auch dieses Mal gab Iver keine Antwort. Ich mochte nicht mehr, nahm die Dose und ging meines Wegs. Hierher würde ich jedenfalls nie wieder zurückkommen. Die Zweige fielen hinter mir wieder an Ort und Stelle. Ich konnte schließlich die Dose überall wegschmeißen, am besten an einem Ort, an dem Iver Malt sie nicht fand, denn sonst würde er sie mir nur noch einmal schenken. Als ich zum Anleger kam, konnte ich ein weißes Boot fast genau in der Mitte des Fjords sehen. Mir schien, als winkte jemand, vielleicht diese Freundin, von der Lisbeth gesprochen hatte, wie hieß sie noch, war es nicht Heidi, aber ich hatte die Sonne direkt in den Augen und nahm an, dass ich mich irrte. Dann holte ich die Aftenposten aus dem Briefkasten und ging nach Kleiva hoch. Das Ei war schon lange steinhart gekocht. Das Frühstück war vorüber, und leider hatte Mutter hochfeinen Besuch, Frau Gulliksen, die Witwe, die Tratschtante und ganzjährige Bewohnerin ganz oben auf dem Hügel, die alles sah und hörte, was so passierte, von Sandvika im Westen bis Oksval im Osten und von Signalen im Norden bis zum Ildjernet im Süden. Ihr Mann war übrigens Lotse gewesen, bevor er im gleichen Herbst gestorben war wie König Haakon, aber ohne weiteren Zusammenhang. Eines Nachts hatte er falsch gelotst, als er vom Anleger kam und nach Hause wollte. Er fiel an der Kurve, wo die Kirschbäume stehen, den Abhang hinunter. Wie er über den Bretterzaun hatte fallen können, verstand damals niemand, und die Polizei sah den Todesfall eine Weile als verdächtig an, kam aber nicht weiter und ließ den Fall dann auf sich beruhen, wenn es denn überhaupt ein Fall gewesen war, abgesehen von einem tragischen Todesfall. Auch die Witwe Detektiv Gulliksen konnte den Fall nicht lösen. Viel sah sie, aber nie sich selbst. Für mich war die Sache jedoch klar. Der Lotse hatte sich für die Abkürzung in den Himmel, eventuell auch in die Hölle, entschieden, je nachdem, wie man es sieht. Das war wohl der letzte Fall auf Nesodden. Seitdem hatte es wie gesagt nur sehr wenig für den Polizeibeamten zu tun gegeben, abgesehen von ein paar Promille und vier ungesetzlichen Hummerreusen, wenn man die Frau Hellseherin Gulliksen nicht als einen großen Fall an sich ansah. Jetzt saß sie also auf unserer Terrasse, zusammen mit meiner Mutter, und trank Tee. Ich versteckte die Konservendose unter dem Rhododendron, legte die Zeitung vor die Haustür, aber es gelang mir leider nicht, mich ungesehen an den beiden Damen vorbeizuschleichen, von denen die eine meine Mutter war, also musste ich bitte schön höflich den Gast begrüßen und das gleiche einschläfernde Gespräch ertragen wie jeden Sommer.
    »Na, wer kommt denn da. Ich hätte dich ja fast nicht wiedererkannt.«
    Ich hätte natürlich sagen können, dass ich sie auch fast nicht wiedererkannt hätte, dass sie ums Maul herum noch fetter geworden war und wo um alles in der Welt war denn ihr Hals geblieben, sollte ich vielleicht beim Suchen helfen?
    »Na, so etwas, guten Tag, Frau Gulliksen.«
    »Du bist aber gewachsen, nein, wirklich.«
    »Das hoffe ich doch.«
    »Ja, ja. Wie die Zeit vergeht.«
    »Das tut sie wirklich. Jetzt ist sie gegangen und gegangen, ein ganzes Jahr lang.«
    »Wie geht es deinem Fuß?«
    »Mein Fuß geht auch.«
    Dann wiederholte sich das Gespräch leider nicht mehr. Stattdessen machte es eine Wendung. Ich kann solche Wendungen nicht ausstehen. Wenn doch, muss zumindest ich derjenige sein, der dafür verantwortlich ist, ich muss diese Wendung gewollt haben. Aber hier war es Frau Aufdringlichkeit Gulliksen, die für die Wendung verantwortlich war.
    »Und ich habe gehört, du bist unter die Dichter gegangen.«
    »Na, das ist wohl ein wenig übertrieben.«
    »Ich habe es doch immer schon gewusst. Dass etwas Besonderes an dir ist.«
    Da hätte ich Frau Schnüffler Gulliksen erzählen können, was denn so Besonderes an ihr war, nämlich dass man bei ihr nicht sehen konnte, wo vorn und wo hinten war, sie hatte nämlich auch Augen im Nacken und brauchte deshalb immer zwei Brillen.
    »Kann sein. Aber sind denn nicht alle Menschen etwas

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