Der Sommerfaenger
Straßentheater aufgebaut hatte. Verschiedene Puppen und Gegenstände, an einer waagerecht verlaufenden Schnur befestigt, tanzten zur Musik seiner Mundharmonika. Mit den Füßen bediente er die Schnur, eine kleine Trommel und einen Schellenbaum.
»Warte mal …«
Luke kramte in seiner Hosentasche und zog einen Geldschein hervor. Er faltete ihn zu einem Päckchen zusammen und warf ihn dem Puppenspieler in seine aufgeklappte Piratenschatzkiste.
»Zehn Euro! Wow!«
Aber Luke hörte mich nicht. Er war ganz in den Anblick der Kinder versunken, die den Puppenspieler umringten und seinem Spiel mit großen Augen folgten. Ich tippte Luke auf die Schulter, und es war, als würde er sich plötzlich wieder an mich erinnern. Der träumerische Ausdruck, der auf seinem Gesicht gelegen hatte, verschwand. Verwirrt und ein wenig verlegen wich er meinem Blick aus.
»Hast du einen Geist gesehen?«
»Ich … die Mundharmonika hat mich … ach, vergiss es.«
»Nein. Erzähl’s mir.«
»Da gibt es nichts zu erzählen. Willst du ein Eis?«
»Erst möchte ich hören, was es mit der Mundharmonika auf sich hat.«
Er seufzte. Öffnete zögernd den Mund.
»Mein … Vater hat früher Mundharmonika gespielt.«
Seine Worte kamen langsam. Als kostete jedes ihn allergrößte Mühe. Er hatte seine Eltern noch nie erwähnt. Es war ein kostbarer Augenblick.
»Früher? Spielt er nicht mehr?«
War seine Hand plötzlich kälter geworden oder kam es mir bloß so vor? Ich rieb seine Finger. Als Luke den Blick hob, erschrak ich. In seinen Augen lag etwas, das ich lieber nicht darin gesehen hätte.
Es war reine, unverhüllte Wut.
Ich versuche, mich zu wappnen, ohne zu wissen, wogegen.
»Er ist tot.«
Ich starrte ihn an.
Er ist tot … ist tot … ist tototot …
Die Worte passten nicht in diesen Nachmittag. Sie passten nicht zu meinen Gefühlen und nicht zu Lukes Zorn.
Ich hasste den Tod.
Luke zog mich zum Stand eines Eisverkäufers.
»Drei Kugeln, bitte. Schoko, Zitrone, Nuss. Und du?«
Er fingerte ein paar Münzen aus seiner Tasche, unbefangen, fast heiter. Als hätte es die drei Worte gar nicht gegeben.
»Dasselbe.«
Luke lutschte voller Hingabe sein Eis und war mir schon wieder entglitten. Doch das wollte ich diesmal nicht hinnehmen.
»Erzähl mir von deinem Vater«, bat ich ihn nach einer Weile.
Luke runzelte die Stirn.
»Ich hab schon viel mehr gesagt, als ich wollte.«
Das Eis hatte plötzlich seinen Geschmack verloren. Ich warf es in den nächsten Abfallkorb. Luke nahm es zur Kenntnis, verkniff sich jedoch eine Bemerkung dazu. Ich spürte, wie er sich Schritt für Schritt von mir entfernte, dabei gingen wir so dicht nebeneinander, dass unsere Schatten auf dem Pflaster ineinander verschmolzen.
Diese Schatten.
Ich konnte den Blick nicht von ihnen abwenden.
Wünschte, wir wären uns so nah wie sie.
Anfangs hatte ich die leise Hoffnung gehabt, Luke würde mich heute in seine Wohnung einladen und mir endlich zeigen, wo, wie und mit wem er lebte, doch das konnte ich nun vergessen.
Ich sehnte mich nach seiner Berührung, wünschte, er würde mich noch einmal so küssen wie eben, und wahrte doch stocksteif Abstand. Innerlich fluchend trottete ich neben ihm her und überlegte, wie ich den Graben zwischen uns überwinden könnte.
Gerade tastete ich zögernd nach Lukes Hand, als ich beinah mit einem Typen zusammenprallte. Im letzten Moment wichen wir beide aus und sahen uns lachend nacheinander um.
Überrascht blieb er stehen.
»Alex?«
Ich fühlte, wie Luke neben mir erstarrte.
»Alexej!«
Luke beschleunigte das Tempo und starrte finster zu Boden.
»Hey! Warte doch mal!«
Der Typ war uns gefolgt und hielt Luke am Arm fest. Forschend sah er ihm ins Gesicht. Dann strahlte er und schlug ihm auf die Schulter.
»Mensch, Alex! Was für ein Zufall!«
Luke schüttelte seine Hand ab.
»Du verwechselst mich.«
Der Typ grinste bis zu den Ohren.
»Red keinen Scheiß, Mann! Wie lange haben wir uns nicht mehr …«
Lukes Stimme wurde eisig.
»Ich kenne dich nicht, kapiert?«
Er fasste mich am Arm und ging so schnell davon, dass ich Mühe hatte mitzukommen.
»Die lassen sich auch immer neue Maschen einfallen, um sich den nächsten Joint zu erschnorren«, stieß er verächtlich hervor.
»Auf mich hat er nicht den Eindruck eines Kiffers gemacht.«
»Nicht?« Luke warf einen Blick über die Schulter und entspannte sich ein wenig. Endlich wurde er langsamer. »Wie hat er mich genannt? Alexej? Ist das nicht Russisch?«
»Warum
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