Der Sommerfaenger
»Ich höre dann von euch.«
Sie verließen den Hof, wie sie gekommen waren, lautlos, geschmeidig und ohne jede erkennbare Emotion.
»Das Spiel hat begonnen«, sagte Kristof leise. »Von jetzt ab wärst du gut beraten, Alex, selbst vor deinem Schatten Angst zu haben.«
Er pfiff nach den Hunden und begab sich ins Haus.
5
Es war schließlich der Zufall, der ihm nur eine Woche später in die Hände spielte. Jemand hatte Alex in Köln gesehen, und dieser Jemand war nicht irgendwer, sondern ausgerechnet Marco Theben, der elende Opportunist aus Schülertagen, die aufdringliche Klette von damals, das größte Klatschmaul auf Gottes Erden.
Ein Riesenglück, denn jeder andere, der Alex irgendwo begegnet wäre, hätte sich von ihm einreden lassen, dass es sich um eine Verwechslung handelte, und wäre ohne Zögern weitergegangen.
Nicht so Marco Theben. Der hatte sich an Alexejs Fersen geheftet und war ihm heimlich gefolgt. Wie alle andern hatte er das Drama um die Verhaftungen und Alexejs Verschwinden mitgekriegt, und als er dem Verlorengeglaubten plötzlich gegenüberstand, hatte er augenblicklich seine Chance gewittert.
»Ich weiß, wo Alex sich aufhält«, hatte er bei seinem Anruf gesagt. »Wie viel ist dir die Information wert?«
Kristof hatte sich nicht auf eine Verhandlung am Telefon eingelassen. Er hatte Marco zu einem Gespräch in sein Haus eingeladen, denn er wusste, welche Wirkung das großzügige Ambiente auf Besucher hatte. Marco sollte sich klein fühlen, wenn es ans Verhandeln ging, winzig wie ein Floh, den man mit dem Fingernagel zerquetschen konnte.
Informationen zu kaufen, gehörte für Kristof zum Geschäft. Man musste nur aufpassen, dass man sich nicht auslieferte. Sobald einem Informanten klar wurde, wie wertvoll sein Wissen tatsächlich war, stieg der Preis ins Unermessliche. Von da bis zur Erpressung war es nur ein Schritt.
Kristof erwartete Marco in der imposanten Eingangshalle seines Hauses. In dem offenen Barschrank war allerlei Hochprozentiges aufgereiht, doch Kristof hatte keine Gläser auf den Tisch gestellt. Marco sollte sich keinen Illusionen hingeben. Er war hier, um seine Informationen auszuspucken, und damit hatte sich sein Nutzen für Kristof erschöpft.
Die Hunde lagen faul vor dem Kamin. Als Marco eintrat, hoben sie kurz die Köpfe, als wollten sie ihm zeigen, dass sie ihn wahrgenommen hatten, dann ließen sie sie träge wieder auf die Pfoten sinken.
Marco machte einen ängstlichen Bogen um sie. Sein forsches Gehabe schrumpfte von Schritt zu Schritt. Seine Bewegungen wurden ungelenk, seine Wangen glühten und auf seiner Stirn glänzte der Schweiß.
Kristof übersah die ausgestreckte Hand seines Besuchers und wies auf einen der dunkelroten Ledersessel. Er schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr, bevor er sich selbst hinsetzte, die Fenster im Rücken, während das Gesicht seines Gastes vom grellen Sonnenlicht beleuchtet war.
Ein uralter Schachzug, aber er funktionierte immer. Kristof konnte beobachten, wie Marcos Befangenheit wuchs. Der aufgeblasene Wichtigtuer verwandelte sich in einen bedauernswerten Wicht.
»Also?«, fragte Kristof und schlug lässig die Beine übereinander.
»Ich bin ihm gefolgt. Ich kenne seine Adresse.«
Marco warf einen gehetzten Seitenblick auf die Hunde.
»Die von Alex, meine ich.«
»Falls es überhaupt Alex war, den du gesehen hast.«
»Hältst du mich für komplett bescheuert? Er hatte es dermaßen eilig, mich loszuwerden …«
»Ich wiederhole: falls. Und falls er nicht sofort wieder untergetaucht ist, nachdem du ihn so plump aufgeschreckt hast.«
»Wie hätte ich denn sonst …«
Marcos Stimme bekam einen weinerlichen Klang. Kristof hätte ihm am liebsten eine reingehauen. Angewidert starrte er auf Marcos feuchte Lippen und die Zungenspitze, die immer wieder an den schon etwas wunden Mundwinkeln leckte.
»Ich war doch gar nicht darauf gefasst, plötzlich vor ihm zu stehen.«
»Fünfhundert Euro«, schlug Kristof vor, klappte die kostbare alte Holzschatulle auf, die den Tisch schmückte, und entnahm ihr ein Geldbündel.
»Willst du mich verarschen?«
Marcos Augen waren schmal geworden. Das Unbehagen in seinem Blick war unverhohlenem Misstrauen gewichen.
»Ich liefere dir deinen Erzfeind ans Messer, und du versuchst, mich mit einem Almosen abzuspeisen?«
Die Hunde hatten den Stimmungsumschwung gewittert und richteten sich auf. Marco beobachtete es aus den Augenwinkeln, wagte jedoch nicht, den Kopf nach den Tieren zu drehen. Er
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