Der Sommerfaenger
das war ihm egal. Sie waren unkompliziert und nicht zu teuer, hatten jedoch einen gravierenden Nachteil: Kaum hatte man sie eingearbeitet und sich an ihre Namen gewöhnt, da hörten sie auch schon wieder auf.
Dieser hier würde noch vor seiner Zeit von Claudio gefeuert werden. Der Chef sah es nicht gern, wenn jemand in seinem Revier wilderte, und zu seinem Revier gehörte nicht nur Merle, sondern jede Frau, die für ihn arbeitete.
Merle packte eine Portion noch dampfender Pizzabrötchen zu der Lieferung, als wieder das Telefon klingelte.
»Pizza Service Claudio . Guten Abend .«
Sie hielt das Telefon zwischen Kinn und Schulter geklemmt und angelte sich Stift und Papier.
»Hallo?«
Niemand meldete sich. Im Hintergrund konnte Merle eine gedämpfte Geräuschkulisse hören. Es klang wie Straßenverkehr.
»Pizza Service Claudio«, wiederholte sie. «Was kann ich für Sie tun?«
Keine Reaktion, aber Merle spürte die Anwesenheit des Anrufers deutlich. Nachdem sie noch ein paar Sekunden gewartet hatte, legte sie auf. Irritiert starrte sie das Telefon an.
Wieder hob Claudio fragend den Kopf.
»Irgend so ’n Blödmann«, erklärte Merle schulterzuckend und legte die nächsten Pizzakartons bereit.
In diesem Raum herrschte eine gefühlte Temperatur von mindestens fünfzig Grad. Merle sah, wie Angelo sich das glänzende Gesicht mit dem Geschirrtuch abwischte, das an seiner Schürze baumelte. Francesca trug einen dermaßen kurzen Rock und ein derart knapp geschnittenes Trägershirt, dass es gerade noch als jugendfrei durchging. Ihr schien kein bisschen heiß zu sein. Merle selbst rann der Schweiß den Rücken hinunter und ihre Haare waren im Nacken und an den Schläfen klatschnass.
Dieser sonderbare Anruf war nicht der erste. In den vergangenen Tagen hatte ihr Handy ein paar Mal geklingelt, ohne dass sich jemand gemeldet hatte. Sie war nicht der Typ, der die Flöhe husten hörte, aber die Erfahrung hatte sie gelehrt, auf merkwürdige Vorkommnisse zu achten, sonst hätte sie ihr Engagement für den Tierschutz gleich an den Nagel hängen können oder säße längst mit der halben Gruppe im Knast.
Die Arbeit für Tiere in Not hatte ihnen eine Menge Feinde beschert und manche davon verfügten über glänzende Verbindungen. Man brach nicht ungestraft in Versuchslabore ein und befreite die Tiere. Solche Aktionen waren Tiefschläge für die Forschung, denn ganze Versuchsreihen wurden dadurch über Nacht bedeutungslos und mussten abgebrochen werden.
Mit einem Teil ihrer Arbeit bewegten sich die Tierschützer im Rahmen der Legalität. Bewusst nutzten sie die Öffentlichkeit, um Gehör zu finden. Gleichzeitig war das öffentliche Auftreten die Maske, unter der sie ihre illegalen Aktionen versteckten.
Öffentlichkeit bedeutete jedoch auch, dass man sie finden konnte. Immer wieder kam es vor, dass sie angepöbelt, beschimpft oder sogar tätlich angegriffen wurden. Oder dass man versuchte, ihnen durch Telefonterror Angst einzujagen. Ihre Autos wurden beschädigt, ihre Fahrräder gestohlen, und manchmal fanden sie tote Tiere in ihrem Briefkasten, einen Hühnerfuß auf der Fensterbank oder das fast noch warme Herz eines Hundes auf ihrer Fußmatte.
Merle hatte sich daran gewöhnt, dass ihr Leben sich krass von dem der meisten Menschen unterschied. Sie wollte es auch gar nicht anders, aber auf die feindseligen Übergriffe hätte sie gern verzichtet.
Diesmal allerdings glaubte sie nicht, dass die anonymen Anrufe mit dem Tierschutz zu tun hatten. Ihre Gegner gaben sich in der Regel nicht mit Schweigen zufrieden. Sie beschimpften und bedrohten sie, spuckten Gift und Galle.
Aber wer war dann der Anrufer?
Wieder klingelte das Telefon. Für einen Moment spürte Merle, wie ihr trotz der Hitze eiskalt wurde. Dann streckte sie die Hand aus.
» Pizza Service Claudio . Guten Abend.«
Erleichtert registrierte sie die angenehme Stimme des Mannes. Und dass er ganz normal bestellte. Sich selbst belächelnd, schrieb sie alles auf und gab es an Angelo weiter. Sie freute sich über die wohlklingenden italienischen Worte, und es war ihr egal, ob es Claudio ärgerte oder nicht.
7
Als ich aus dem Haus trat, war ich aufgeregt wie bei meinem ersten Treffen mit Luke. In meinem Magen schlingerte es, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, meine Hände waren eiskalt und ich musste dringend aufs Klo. Ich fragte mich, warum etwas so unerhört Großes und Schönes wie die Liebe mit so mickrigen, unschönen Empfindungen verbunden war.
Im St . Marien
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