Der Sommerfaenger
Reißverschluss zu und sah sich prüfend im Zimmer um.
Alles in Ordnung. Er hinterließ nichts von Wichtigkeit, nichts, womit die Polizei etwas anfangen konnte. Das Spülbecken hatte er gereinigt, den Fußboden von den blutigen Spuren, die er überall verteilt hatte, befreit. Das Handy steckte ausgeschaltet in seiner Hosentasche.
Im Bad hatte er nichts angerührt.
Kurz verspürte er den Impuls, wenigstens das Wasser aus der Wanne ablaufen zu lassen, doch er brachte es nicht fertig, das Badezimmer noch einmal zu betreten. Aus diesem Grund ließ er auch seinen Rasierapparat und sämtliche Toilettenartikel zurück.
Um nichts in der Welt wollte er seinem Freund noch einmal in die toten Augen blicken.
Die Wohnungstür lehnte er nur an, damit Albert bald gefunden wurde.
Im Treppenhaus begegnete ihm niemand. Gut so. Er war sich nicht sicher, ob er noch lange die Fassung wahren konnte, und er hatte noch einen Besuch bei der Bank vor sich, wo er einen Safe gemietet hatte, in dem er sein Notfallpaket aufbewahrte: Ausweispapiere, Sparbücher, Scheckkarten.
Ab heute war er völlig auf sich gestellt. Er konnte sich nicht bei Maurice melden, denn möglicherweise war auch der aufgeflogen. Luke wusste, was Alberts Tod bedeutete: Er war eine Kampfansage. Es hatte Kristof nicht gereicht, Luke aufzuspüren und ihn zu töten. Er hatte ein mörderisches Spiel begonnen.
Katz und Maus.
Luke wusste, wie in der Organisation gearbeitet wurde. Er hatte schließlich selbst dazugehört. Kristof hatte Informationen gesammelt. Er hatte sich gründlich über Lukes Leben informiert und über die Menschen, die darin eine Rolle spielten. Von Tag zu Tag würde das Material, das ihm zugetragen wurde, umfangreicher werden.
Nicht mehr lange, und Kristof würde mehr über Luke wissen als Luke selbst.
Alberts Tod war sorgfältig inszeniert worden. Er war der Anfang eines Theaterstücks, dessen Regisseur Kristof war. Nicht eine Sekunde lang hatte Luke geglaubt, dass ein anderer Albert umgebracht haben könnte.
Von jetzt an war jeder, der mit Luke zu tun hatte, in Lebensgefahr.
Vor allem Jette.
Luke öffnete die Haustür und blickte sich aufmerksam um. Ihm fiel nichts Ungewöhnliches auf, und doch musste Kristof in der Nähe sein oder zumindest jemanden geschickt haben, um Luke zu observieren.
Okay, dachte er und biss die Zähne zusammen. Er schulterte die Reisetasche und lief los.
*
Ich fand auf Anhieb einen Parkplatz und das direkt in der Palanterstraße. Manchmal muss der Mensch auch Glück haben, dachte ich, während ich ausstieg und mich zu orientieren versuchte. Mir war ziemlich flau, denn ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, wenn ich Luke plötzlich gegenüberstand.
Falls ich ihn überhaupt zu Hause antraf.
Ich machte mir mittlerweile große Sorgen um ihn, denn er hätte mich niemals versetzt, ohne abzusagen. Mehr als einmal hatte ich das Bedürfnis gehabt, Merle anzurufen, wie ich das immer tat, wenn ich Probleme hatte. Doch ich beherrschte mich. Sie hatte mir nur zu deutlich gezeigt, was sie von Luke hielt.
Als ich endlich vor dem Haus stand, in dem er wohnte, hätte ich am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht. Ich war hierhergekommen, um zu erfahren, was mit Luke los war, doch jetzt war ich mir auf einmal nicht mehr so sicher, ob ich es wirklich wissen wollte.
Nun fischte ich doch mein Handy aus der Tasche.
»Ich liebe dich auch«, meldete sich Merle. »Wo bist du?«
Es tat so gut, ihre Stimme zu hören. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Hauswand und erzählte ihr alles.
»Und jetzt traust du dich nicht, bei ihm zu klingeln«, schloss sie messerscharf.
»Genau.«
Merle besaß einen ähnlichen Röntgenblick wie meine Großmutter. Sogar durchs Telefon.
»Weil du unangemeldet bei ihm auftauchst? Oder weil du glaubst, dass ihm etwas … äh … dass er …«
»Ich hab so ein Gefühl …«
Merle traute meinen Ahnungen. Ich musste ihr nichts erklären.
»Soll ich kommen, um dich zu unterstützen?«, fragte sie.
»Wenn du Lust auf eine Weltreise hast.«
Mein Wagen war der einzige in unserer WG. Mit Bus und Bahn wäre Merle von Birkenweiler aus um diese Uhrzeit fast zwei Stunden unterwegs. Selbst ein Taxi würde zu lange brauchen, falls Luke tatsächlich in Schwierigkeiten steckte und schnell Hilfe benötigte.
»Pass auf«, sagte Merle. »Du klingelst jetzt und gehst rein und lässt dein Handy eingeschaltet. Dann bin ich die ganze Zeit bei dir, okay?«
Das war ein vernünftiger Vorschlag.
»Okay.«
Als ich auf
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