Der Sommerfaenger
leistete die Klimaanlage Schwerstarbeit und die Luft in den Räumen war relativ angenehm. Nachdem ich mich den ganzen Tag dort aufgehalten hatte, empfing mich die Hitze draußen wie ein Schock.
Wenn Luke mich von der Arbeit abholte, was leider ziemlich selten der Fall war, stand er meistens gegen die Mauer gelehnt, in seiner typischen, lässigen Körperhaltung und mit diesem Lächeln auf den Lippen, das den Boden unter meinen Füßen schwanken ließ. Er stieß sich dann von der Mauer ab und kam mir die letzten Schritte entgegen, schlaksig, selbstbewusst und so quälend langsam, dass ich mich zusammenreißen musste, um nicht loszurennen und mich ihm in die Arme zu werfen.
Diesmal stand er nicht dort.
Ich schaute mich um. Außer dem hübschen dreifarbigen Terrier-Mischling, der in dieser Gegend herumstreunte, seit ich hier arbeitete, war kein Lebewesen zu erblicken. Der Hund ließ sich an der Stelle nieder, an der Luke hätte stehen sollen, und fing an, sich bedächtig die Pfoten zu lecken.
Die ganze Nachbarschaft war sein Zuhause, und auch im St . Marien war er ein gern gesehener Gast. Die Heimbewohner liebten ihn und er liebte sie. Niemandem sonst konnten sie immer und immer wieder ihre Lebensgeschichte erzählen. Niemand außer ihm hörte geduldig zu, ohne jemals nachzufragen oder zu widersprechen. Dafür belohnten sie ihn mit Zärtlichkeit und kleinen Happen, die sie für ihn aufgespart hatten.
Sie verwöhnten sich gegenseitig nach Strich und Faden.
Kurz nach acht. Vielleicht war Luke aufgehalten worden. Im Sommer fand das Leben in Bröhl auf der Straße statt. In den Biergärten und Kneipen war die Hölle los, und die Innenstadt, in der sonst um diese Zeit die Bürgersteige hochgeklappt wurden, war voller Menschen, die an den Schaufenstern entlangflanierten. Dann war es schwer, einen Parkplatz zu finden, weil selbst der vorm St . Marien aus allen Nähten quoll.
Ich lief ein bisschen herum und war sofort nass geschwitzt.
Zwanzig nach acht. Der Hund war eingeschlafen, die Schnauze unter den Pfoten, als wollte er sich die Augen zuhalten. Ich hörte ihn leise schnarchen. Die Sonne blinkte in den Fenstern. Die blauen Hortensien am Eingang ließen die Köpfe hängen.
Die Minuten schleppten sich dahin.
Luke hatte zwar wenig Zeit und war oft schwer erreichbar, aber wenn er ein Treffen verschieben musste, sagte er immer Bescheid. Er hatte unsere Verabredung garantiert nicht vergessen. Und einen Parkplatz musste er mittlerweile auch gefunden haben. Ich checkte meine Mailbox.
Keine Nachricht.
Ich drückte seine Nummer.
Hi, hier spricht Lukas Tadikken. Ich bin unterwegs. Hinterlassen Sie mir doch eine Nachricht, dann rufe ich zurück, sobald ich kann.
»Ich bin’s, Jette«, sagte ich, als würde er meine Stimme nicht auch so erkennen. »Wo bleibst du? Wenn du nicht bald hier aufkreuzt, brenne ich mit einem äußerst attraktiven Nebenbuhler durch.«
Ich hatte mich auf eine der Bänke gesetzt, die überall in der Nähe des St . Marien standen, und der Hund hatte sich neben mir ausgestreckt, den Kopf auf meinem Schoß. Ich kraulte ihn hinter den Ohren und auf der Stirn, was er besonders gern mochte, und ignorierte entschlossen die Enttäuschung, die sich in mir breitmachte.
Und wenn Luke etwas zugestoßen war?
In mir war plötzlich alles still.
Der Hund regte sich und seufzte im Schlaf.
Wieder wählte ich Lukes Handynummer.
Hi, hier spricht Lukas Tadikken. Ich bin unterwegs …
Seine Stimme tat mir auf einmal weh. Ich hatte schreckliche Angst, sie nie mehr anders zu hören als auf seinem Anrufbeantworter.
Zehn vor neun. Fünf vor neun. Neun Uhr.
Hi, hier spricht Lukas Tadikken …
Hi, hier spricht …
Hi …
Ich wählte seine Nummer immer wieder. Der Text bohrte sich in meinen Kopf. Ich hielt mir die Ohren zu, doch ich hörte ihn trotzdem.
Um Viertel nach neun hielt ich es nicht mehr aus. Luke hatte mich zwar nie mit in seine Wohnung genommen, die aus irgendeinem Grund tabu zu sein schien, aber ich kannte natürlich seine Adresse.
Ich lief zu meinem Wagen. Etwas stimmte nicht. Ich würde herausfinden, was es war.
*
Eine faszinierende Stadt. Kristof hätte Köln gern näher erkundet, aber er war nicht zum Vergnügen hier. Obwohl er durchaus so etwas wie Freude empfand.
Die Jagd hatte begonnen.
Nun musste er abwarten. Man konnte nie im Voraus sagen, wie ein Opfer reagierte. Die einen verloren die Nerven, die andern handelten überlegt. Manche nötigten ihm Respekt ab, andere erzeugten mit ihrem
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