Der Sommerfaenger
regst du dich so auf?« Ich hakte mich bei ihm unter. »Er hat sich eben geirrt.«
Wieder sah Luke verstohlen zurück. Dann blickte er nach unten und entdeckte, dass ihm Eis auf die Hose getropft war. Ärgerlich wischte er es weg.
»Weißt du, dass jeder Mensch mindestens vier Doppelgänger auf der Welt hat?«, fragte er, nachdem er den Rest Eis vertilgt und sich die klebrigen Finger abgeleckt hatte.
Davon hatte ich noch nie gehört, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass es Luke in mehreren Ausführungen geben sollte.
Oder mich.
Ein beunruhigendes Bild.
»Ob sich vielleicht irgendwo einer deiner Doppelgänger in eine meiner Doppelgängerinnen verliebt hat?«, witzelte ich.
Aber Luke war nicht bei der Sache. Ständig schaute er sich um, als erwartete er, der Typ würde im nächsten Moment über ihn herfallen.
»Lass uns von hier verschwinden«, schlug er schließlich vor. »Mir gehen der Lärm und das Gedränge hier furchtbar auf den Keks.«
Alex, dachte ich. Alexej.
Die Theorie vom Doppelgänger klang einleuchtend. Aber warum hatte Luke diesen Typen dann so abfahren lassen? Und wieso wirkte er immer noch dermaßen nervös?
»Wir könnten ins Kino gehen«, sagte ich.
Luke wirkte alles andere als begeistert.
»Oder wir …«
»Ich hab tierische Kopfschmerzen, Jette.«
Erst jetzt fiel mir auf, wie blass er war.
»Okay.« Ich versuchte, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Möchtest du allein sein?«
»Wenn du mir nicht böse bist.« Er nickte. »Ich fahr dich natürlich nach Birkenweiler zurück.«
»Du, ich kann ganz gut allein auf mich aufpassen.«
Ich lächelte ihn an, um ihm zu zeigen, dass es mir nichts ausmachte, unseren Bummel zu beenden, kaum dass wir in Köln angekommen waren.
Luke gab mir einen Abschiedskuss auf die Wange und verschwand zwischen all den Menschen. Ich stand da und sah ihm nach, bis ich ihn nicht mehr erkennen konnte.
Alex, dachte ich. Alexej.
Eine Wolke zog über die Sonne, und ihr Schatten glitt über mich hinweg. Fröstelnd machte ich mich auf den Weg.
*
Merle öffnete die Tür zur Krankenstation des Katzenhauses einen Spaltbreit, schlüpfte hinein und schloss sorgfältig hinter sich ab.
Die Handgriffe waren ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Zu Anfang ihrer Arbeit im Tierheim war ihr einmal eine Katze entwischt. Sie hatten sie nie wiedergefunden, und Merle hatte sich lange mit Schuldgefühlen gequält.
Vielleicht war sie überfahren worden. Vielleicht hatten Tierfänger sie eingefangen und an ein Versuchslabor verscherbelt. Vielleicht war ihr sonst was Schreckliches zugestoßen.
Natürlich konnte sie auch einer freundlichen Familie zugelaufen sein, aber die schlimmen Ahnungen überwogen, und aus diesem Grund war Merle seither fast schon übervorsichtig.
In der erst kürzlich eingerichteten Quarantäneabteilung (ein großes Wort für die beiden lausig kleinen Räume am Ende des Gangs) waren fünf Katzenwelpen untergebracht, die auf einem verlassenen Fabrikgelände neben ihrer erschlagenen Mutter gefunden worden waren. Sie alle litten an Katzenseuche, einer lebensgefährlichen, hochgradig ansteckenden Viruserkrankung.
Jede von ihnen lag in einem eigenen Gitterkorb am Tropf, über den sie eine Salzlösung mit Traubenzucker zugeführt bekamen. Sie hatten Durchfall und hohes Fieber und ihre Augen waren entzündet und verklebt.
Merle beugte sich über ihren Liebling und kraulte ihn vorsichtig hinter den winzigen Ohren. Er fiepte kurz, dann ließ er das Köpfchen wieder sinken. Behutsam streichelte sie mit dem Zeigefinger den ausgemergelten kleinen Körper. Das schwarze Fell war glanzlos und struppig, aber Merle wusste, wie seidenweich es sich anfühlen würde, wenn der kleine Kerl es schaffte.
Sie kontrollierte die Infusionsflaschen und die Wärme der Rotlichtlampen. Gegen Abend würde die Ärztin noch einmal nach den Kleinen sehen und dann kam es darauf an. Überlebten sie die kommende Nacht, waren sie über den Berg.
Merle nahm sich Zeit, um jedem Tier ein paar ausgiebige Liebkosungen zu geben. Sie wusste, dass Zärtlichkeit einer der besten Gesundmacher war.
Als sie das Katzenhaus wieder verließ, lief sie Jette in die Arme, die auf der Suche nach ihr war. Das kam selten vor, und obwohl Merle nicht der Typ war, der in ständiger Furcht vor Katastrophen lebte, zuckte sie zusammen. Sie überspielte das mit einem Lächeln, während sie sich fragte, wo Luke abgeblieben sein mochte. Jette hatte sich doch für diesen Nachmittag mit ihm extra
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