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Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Kronzeuge im Prozess gegen Leo und seine wichtigsten Männer aussagen würde. Dass er Teil eines Zeugenschutzprogramms geworden war. Dass er ein fremdes Leben lebte. Dass nichts von dem, was sie über ihn zu wissen glaubte, den Tatsachen entsprach. Dass nichts an ihm echt war.
    Außer seiner Liebe zu ihr.
    Dass er Namen und Daten auswendig gelernt hatte, wieder, wieder und wieder, bis er sie im Schlaf herunterbeten konnte. Dass er seit seiner Flucht aus Bautzen keinem Menschen mehr richtig nahegekommen war. Keinem.
    Nur ihr.
    Im Biomarkt kaufte er ein paar Sachen ein. Als er wieder auf die Straße trat, brauste ein Linienbus an ihm vorbei. Er war über und über mit Werbung bedeckt. Ein riesiger Zeigefinger wies auf Luke. Darunter stand: DU !
    Unwillkürlich sah Luke sich um. Alles schien sich plötzlich auf ihn selbst zu beziehen, die Blicke der Vorübereilenden, aufgeschnappte Sätze, flüchtige Berührungen.
    DU !
    Als wüsste mit einem Mal jeder, wer Luke wirklich war. Als stünde sein eigentlicher Name in leuchtenden Buchstaben auf seiner Stirn.
    DU !
    Luke versuchte, die aufsteigende Panik zurückzudrängen. Vor dem Schaufenster eines Reisebüros blieb er stehen und starrte blind hinein.
    Du musst eine Entscheidung treffen.
    Das Schaufenster war dürftig und einfallslos dekoriert. Zwischen den auf dunkelblauem Samt ausgelegten Reiseprospekten waren Sand, Muscheln und Seesterne verstreut. Neben einem roten Wasserball, dem allmählich die Luft ausging, reckte sich eine magere Yuccapalme dem Licht entgegen. An der Scheibe klebten Sonderangebote.
    Wegfahren, dachte Luke. So weit weg wie möglich.
    Als wäre das eine Lösung.
    Langsam ging er weiter. Er wollte sich etwas Frisches anziehen, bevor er Jette vom St . Marien abholte. Und beim Abendessen ein paar Takte mit Albert quatschen.
    Im Treppenhaus empfing ihn eine angenehme Kühle. Es roch nach Farbe und abgestandenem Zigarettenrauch. Wahrscheinlich wurde eine der Wohnungen renoviert. Bestimmt zog wieder jemand aus. Hier herrschte ein ständiges Kommen und Gehen.
    Das Haus war bis unters Dach von Studenten bewohnt, doch Luke kannte die meisten nur flüchtig. Bei manchen, die er auf der Treppe traf, war er sich nicht mal sicher, ob sie überhaupt hier lebten oder vielleicht nur Besucher waren.
    Es war ihm ganz lieb so. Keiner scherte sich um das, was der Nachbar tat. In so einem Haus konnte man Jahre verbringen, ohne mit irgendwem ein Wort zu wechseln. Gefahrlos. Wenigstens hatte er das geglaubt.
    Er schloss die Wohnungstür auf, betrat den Flur und stellte die Tasche mit den Einkäufen ab.
    »Jemand zu Hause?«
    Beim Gedanken an die Brötchen und Croissants, den frischen Parmaschinken, den Ziegenkäse, die Trauben und Feigen lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Er warf den Rucksack auf sein Bett und schlenderte in die Küche. Anscheinend hatte Albert denselben Einfall gehabt wie er. Auf dem Brotkasten lag eine Brötchentüte und im Kühlschrank fand er Schafskäse, Oliven und Tomaten.
    Erst jetzt merkte Luke, wie hungrig er war.
    »Albert?«
    Wo steckte der Kerl?
    Luke naschte ein paar Oliven und leckte sich das Öl von den Fingern. Dann klopfte er an Alberts Tür und drückte, als keine Antwort kam, die Klinke herunter.
    Das Zimmer war wie immer. Chaotisch, ungeputzt und mit allem möglichen Kram vollgestopft. Alberts Handy lag auf dem Schreibtisch, also konnte er selbst nicht weit sein. Vielleicht war er in den Keller gegangen, um endlich den platten Vorderreifen seines Fahrrads zu wechseln, was er schon seit Wochen vor sich herschob.
    Aber hätte er sein Handy dann nicht mitgenommen?
    Albert war praktisch unfähig, ohne sein liebstes Kommunikationsmittel zu existieren. Seine Kinder würden vermutlich mit klitzekleinen, an den Handballen angewachsenen Mobiltelefonen auf die Welt kommen.
    Konnte auch sein, dass er sich mal wieder in die Wanne gelegt hatte.
    Das war für Albert das Höchste. Täglich blockierte er das Badezimmer zu den unterschiedlichsten Zeiten für mindestens eine Stunde. Er behauptete, nichts helfe besser gegen Stress, schlechte Laune und Langeweile. Telefonieren gehörte jedoch auch in der Wanne zu seinen Lieblingsbeschäftigungen.
    Wenn er badete, wieso lag sein Handy dann auf dem Schreibtisch? Und wieso hörte man nichts?
    Luke horchte.
    Es war absolut still.
    »Hey, Kumpel, bist du wieder eingepennt?«
    Das passierte Albert mit schöner Regelmäßigkeit. Er hatte auf diese Weise schon so manches Buch aus der Bücherei im Wasser versenkt

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