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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ab zu gehen.
    Trotzdem stolperte ich über ein Kissen und fiel der Länge nach hin.
    »Na ja, jetzt haben Sie zumindest eine Vorstellung.«

    »Lässt sich das noch ausbauen?«, fragte Stadler.
    Ich schnaubte verächtlich.
    »Mit vier Bällen jonglieren ist total langweilig«, erklärte ich.
    »Man hat in jeder Hand zwei Bälle, die man nur hochwirft und wieder auffängt. Da rührt sich nichts.«
    »Und was ist mit fünf?«
    Wieder schnaubte ich verächtlich.
    »Fünf sind was für Verrückte. Um mit fünf Bällen zu jonglieren, muss man sich erst mal drei Monate lang allein in ein Zimmer setzen und üben. Das spare ich mir für später auf, wenn ich ins Gefängnis komme oder Nonne werde oder auf einer einsamen Insel strande. Mein Publikum besteht nur aus Kleinkindern, und außerdem ist das Ganze für mich sowieso bloß eine Übergangsphase.
    Bis ich mir darüber klar geworden bin, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen möchte.«
    »Damit lassen wir uns nicht abspeisen«, erklärte Stadler.
    »Wir wollen fünf Bälle sehen, nicht wahr, Grace?«
    »Mindestens!«, erwiderte Grace.
    »Seid bloß still!«, sagte ich. »Sonst zeige ich euch meine Zaubertricks!«

    6. KAPITEL
    as als Nächstes passierte, kann ich nicht erklären.
    W Zumindest kann ich es nicht so erklären, dass es wirklich einen Sinn ergibt. Grace Schilling ging. Zum Abschied legte sie mir die Hände auf die Schultern und starrte mich einen Moment lang an, als würde sie gleich zu heulen beginnen oder etwas schrecklich Ernstes sagen.
    Dann erklärte mir Stadler, dass eine Polizeibeamtin namens Lynne Burnett vorbeikommen und ein Auge auf mich haben werde.
    »Sie wird aber nicht hier schlafen, oder?«
    »Nein, lassen Sie es mich erklären. Lynne Burnett wird in den nächsten Tagen den größten Teil Ihrer Bewachung übernehmen. Nachts werden wir sie oder – wahrscheinlich häufiger – andere Beamte draußen vor Ihrem Haus postieren, in der Regel in einem Wagen. Keinem Polizeiwagen. Tagsüber wird sie Ihnen wohl die meiste Zeit hier drin Gesellschaft leisten, aber wie das im Einzelnen abläuft, ist eine Sache zwischen Ihnen und ihr.«
    »Ich werde rund um die Uhr bewacht?«
    »Bloß für eine Weile.«
    »Und Sie?«, fragte ich. »Werden Sie auch da sein?«
    Er sah mir ein paar Sekunden zu lang in die Augen.
    Gerade wollte ich was sagen, als es an der Tür klingelte.
    Einen Moment lang blinzelte ich erschrocken, dann lächelte ich ihn benommen an.
    »Das ist bestimmt Lynne«, sagte er.
    »Warum gehen Sie dann nicht an die Tür?«
    »Es ist Ihre Wohnung.«

    »Aber Sie wissen doch, dass es für Sie ist.«
    Er machte auf dem Absatz kehrt und öffnete die Tür.
    Lynne war jünger als ich, wenn auch nicht viel, und ziemlich hübsch. Sie hatte ein großes violettes Muttermal auf der Wange. Sie trug keine Polizeiuniform, sondern Jeans und T-Shirt, und hatte eine hellblaue Jacke über dem Arm.
    »Ich bin Nadia Blake«, sagte ich und streckte ihr die Hand hin. »Sie müssen das Chaos entschuldigen, aber ich war eigentlich nicht auf Besuch eingestellt.«
    Sie lächelte und wurde rot. »Ich werde versuchen, Sie so wenig wie möglich zu stören«, erklärte sie. »Es sei denn, Sie brauchen mich. Ich könnte Ihnen ein bisschen beim Aufräumen helfen. Natürlich nur, wenn Sie das wollen«, fügte sie rasch hinzu.
    »Bei mir ist alles ein wenig außer Kontrolle geraten«, erklärte ich und lächelte dabei Stadler an, der mein Lächeln aber nicht erwiderte, sondern mich nur nachdenklich ansah. Ich ging in mein Schlafzimmer und setzte mich aufs Bett, bis er gegangen war. Ich fühlte mich müde und verwirrt. Was lief da eigentlich ab? Wie sollte ich den Abend verbringen, wenn Lynne die ganze Zeit bei mir herumhing? Da konnte ich ja nicht mal mit einem guten Gefühl relaxen, indem ich mich schon um neun mit einem Käsetoast ins Bett verzog.

    Es hätte schlimmer sein können. Zum Abendessen bereiteten wir uns Spiegeleier und Bohnen zu, und Lynne erzählte mir alles über ihre sieben Geschwister und ihre Mutter, die als Friseuse arbeitete. Nach dem Essen räumte sie ein bisschen auf. Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht bloß herumsitzen und Däumchen drehen wollte. Dann ging sie – natürlich nicht nach Hause, sondern nach draußen in den Wagen. Nur heute, erklärte sie, in den nächsten Tagen würde sie sich abends von anderen Beamten ablösen lassen, weil sie ja auch mal schlafen müsse. Ich legte mich in die Badewanne, bis meine Finger ganz schrumpelig waren.

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