Der Sommermörder
sondern zum Essen. Ich war wie eine Python, die ein Reh verschlang. Schließlich hatte ich es geschafft. »Trotzdem«, fuhr ich fort. »Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass das Ganze eine alberne Überreaktion ist?«
»Es geschieht nur zu Ihrem Besten.«
»Ein Typ hat mir einen Brief geschrieben. Wollen Sie mich deswegen bis an mein Lebensende beschützen?«
»Unser Ziel ist es, den Kerl zu schnappen, der diese Briefe verschickt.«
»Was, wenn euch das nicht gelingt? Ihr könnt nicht ewig so weitermachen.«
»Darüber werden wir reden, wenn es an der Zeit ist.«
Angesichts von so viel Blödsinn erschien es mir idiotisch, weiter über dieses Thema zu sprechen.
»Für mich ist das Ganze ziemlich peinlich«, erklärte ich abschließend. »Mein Leben ist auch so schon lächerlich genug. Bestimmt sind Sie ein großartiger Mensch, Lynne, und ich möchte Sie auch nicht kritisieren, aber der Gedanke, bei allem, was ich tue, von einer Polizistin angestarrt zu werden, baut mich nicht gerade auf.«
»Darüber reden wir noch«, antwortete Lynne mit ernster Miene, als hätte ich damit einen wichtigen Aspekt polizeilicher Vorgehensweise angesprochen. In dem Moment wurden wir von der Türklingel unterbrochen. Ich stand auf, um zu öffnen. Es war Cameron.
»Guten Morgen, Miss Blake«, sagte er, nachdem er Lynne über meine Schulter hinweg zugenickt hatte.
»Oh, sagen Sie doch bitte Nadia zu mir, Detective«, antwortete ich. »Wir sind hier nicht so formell.«
»Nadia«, murmelte er schwach, »ich bin vorbeigekommen, um Lynne für zwei Stunden abzulösen.«
»Schön.« Ich bemühte mich, locker und fröhlich zu klingen.
»Und um mit Ihnen den Ablauf des Tages zu besprechen«, fuhr er fort. »Ich weiß nicht, ob Sie für heute irgendwelche Pläne haben.«
»Ja«, sagte ich. »Um halb fünf müssen Zach und ich zu einer Kinderfeier nach Muswell Hill. Am Wochenende haben wir zwei weitere Termine. Vielleicht auch mehr, falls noch jemand anruft.«
»Kein Problem. Lynne kann Sie begleiten.«
»Da werden die Leute aber nicht begeistert sein«, wandte ich ein.
»Ich werde draußen warten«, erklärte Lynne. »Aber ich fahre Sie hin.«
»Ein Privatchauffeur. Das wird ja immer besser!«
Lynne hatte noch eine halbe Tasse Kaffee und ein halbes Croissant vor sich.
»Es besteht kein Grund zur Eile«, erklärte Cameron unnötigerweise.
Wie sich herausstellte, hatte Lynne es tatsächlich nicht eilig. Langsam trank sie ihren Kaffee und zupfte nur hin und wieder ein kleines Stück von ihrem Croissant. Sie war gerade im Begriff, sich eine Wohnung zu kaufen, und erkundigte sich nach meinen Erfahrungen. Hatte ich erst meine vorherige Wohnung verkaufen müssen, ehe ich mir die neue zulegte? Es war eine lange Geschichte, und je kürzer ich mich zu fassen versuchte, desto länger wurde sie. In der Zwischenzeit inspizierte Cameron den Raum auf eine Weise, die wohl fachmännisch und objektiv wirken sollte, indem er hier einen Gegenstand hochhob und dort eine Schublade aufzog. Ich hatte das Gefühl, dass er immer wieder zu mir herübersah, während er Dinge über mich herausfand, die ich lieber für mich behalten hätte. Endlich hatten Lynne und ich die Wohnungsfrage erschöpfend behandelt. Sie drehte sich zu Cameron um.
»Nadia hat gewisse Bedenken, was unsere Pläne betrifft.«
»Im Grunde weiß ich ja nicht mal, wie diese Pläne aussehen«, stellte ich richtig.
»Ich werde mit ihr darüber sprechen«, meinte Cameron beiläufig und wandte sich ab, ohne weiter auf das Thema einzugehen.
Lynne hielt noch immer ihre Kaffeetasse in der Hand.
Hatte diese Frau denn nicht genug von mir? Hatte sie nichts Besseres zu tun?
»Dann treffen wir uns also gegen eins wieder hier?«, fragte Cameron Lynne.
»Bleibt ihr nicht hier?«, entgegnete sie.
»Auf jeden Fall sind wir um eins wieder da.«
Sie nickte. »Gut. Bis später, Nadia.«
»Bis dann, Lynne.«
Endlich ging sie. Durchs Fenster sah ich ihre Beine die Treppe hinuntersteigen und auf dem Gehsteig verschwinden. Die Luft war rein. Ich drehte mich zu Cameron um. »Wegen gestern …«
Aber er war schon bei mir, riss mich in seine Arme, als hätte er es keine Sekunde länger ausgehalten, berührte mein Gesicht, streichelte mein Haar. Ich schob ihn ein Stück weg und sah ihm in die Augen.
»Ich –«, stammelte ich. »Ich bin nicht …«
»Ich kann nicht …«, murmelte er und küsste mich.
Inzwischen spürte ich seine Hände auf meinem Rücken, unter meinem T-Shirt, wo er nach meinem
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