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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Ihnen vielleicht raten, wie Sie sich verhalten sollen«, erklärte sie schließlich. »Aber ich glaube nicht, dass ich Ihnen sagen kann, was Sie fühlen sollen. Kommen Sie, geben Sie mir Ihre Tasse. Ich hole uns noch mal Tee.«
    Damit war das Thema für sie erledigt. Stadler räusperte sich.
    »Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte er, »würde ich mit Ihnen gern ein wenig über Ihr Leben sprechen.
    Darüber, wer Ihre Freunde sind, mit welchen Leuten Sie zusammenkommen, welche Gewohnheiten Sie haben, all diese Dinge.«
    »Sie sehen gar nicht aus wie ein Polizist«, bemerkte ich.
    Einen Augenblick starrte er mich überrascht an, dann lächelte er. »Wie soll ein Polizist denn Ihrer Meinung nach aussehen?«
    Er ließ sich nicht leicht in Verlegenheit bringen, zumindest nicht von mir. Noch nie zuvor hatte mir jemand so tief in die Augen gesehen wie er, fast als wollte er in mein Innerstes hineinblicken. Was versuchte er zu sehen?
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Sie sehen einfach nicht aus wie ein Polizist. Sie sehen, ähm …« Ich hielt abrupt inne, weil mir beinahe rausgerutscht wäre, dass er für einen Polizisten viel zu gut aussah, was nicht nur ein total bescheuerter, sondern auch ein der Situation völlig unangemessener Kommentar gewesen wäre. Außerdem war Grace soeben mit dem Tee zurückgekehrt.
    »… so normal aus«, brachte ich den Satz mit einiger Verspätung zu Ende.
    »Ist das alles?«, meinte er. »Ich dachte, Sie würden was Netteres sagen.«
    Ich schnitt eine Grimasse. »Ich finde, dass es schon ein ziemlich nettes Kompliment ist, wenn man zu einem Polizisten sagt, dass er nicht wie einer aussieht.«
    »Kommt darauf an, wie Polizisten Ihrer Meinung nach aussehen.«
    »Störe ich irgendwie?«, fragte Grace leicht ironisch.
    In dem Moment klingelte das Telefon. Es war Janet. Sie rief an, um nachzufragen, ob wir uns abends wie vereinbart treffen sollten. Ich legte die Hand über den Hörer.
    »Es ist eine von meinen besten Freundinnen«, flüsterte ich.
    »Wir wollten uns am frühen Abend auf einen Drink treffen. Übrigens, von ihr ist der Brief mit Sicherheit nicht.«
    »Sagen Sie ihr ab«, antwortete Stadler.
    »Ist das Ihr Ernst?«
    »Tut mir Leid. Bitte haben Sie Verständnis.«
    Ich verzog erneut das Gesicht und erklärte Janet dann, dass mir leider etwas dazwischengekommen sei. Natürlich hatte sie Verständnis. Obwohl ich merkte, dass sie gern noch ein bisschen geplaudert hätte, beendete ich das Gespräch so schnell wie möglich. Grace und Stadler schienen mir allzu interessiert an dem, was ich sagte.
    »Kann es sein, dass Sie mich irgendwie verarschen?«, fragte ich, nachdem ich aufgelegt hatte.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Allmählich fühle ich mich ein bisschen verfolgt«, antwortete ich, »aber nicht von dem Bescheuerten, der mir den Brief geschrieben hat. Ich komme mir vor wie ein aufgespießtes Insekt. Während ich mich noch zuckend winde, betrachtet mich jemand durchs Mikroskop.«
    »Wirklich? So fühlen Sie sich?«, fragte Grace ernst.

    »Ach, hören Sie bloß auf!«, gab ich aufgebracht zurück.
    »Sagen Sie jetzt um Gottes willen nicht, dass das von Bedeutung ist.«
    Außerdem war es nicht ganz das, was ich fühlte. Wir saßen den ganzen Nachmittag in meiner Wohnung. Später kochte ich uns Kaffee. In einer Dose fand ich noch ein paar Kekse. Nachdem ich die Papierfetzen hervorgekramt hatte, die meinen Terminkalender darstellten, ging ich mein Adressbuch durch und ließ mich über mein Leben aus. Hin und wieder stellte mir einer der beiden eine Frage. Nach einer Weile fing es zum ersten Mal seit vielen, vielen Tagen zu regnen an, und plötzlich fühlte ich mich nicht mehr wie ein seltenes Insekt, das vor der Präparierung eingehend studiert wurde, sondern wie ein Mädchen, das einen Nachmittag mit zwei ziemlich seltsamen neuen Freunden verbrachte. Mit ihnen auf dem Boden zu sitzen, während draußen der Regen an das Fenster klatschte, war ein ziemlich beruhigendes Gefühl.
    »Können Sie wirklich jonglieren?«, fragte Stadler.
    »Ob ich jonglieren kann?«, gab ich kampfeslustig zurück.
    »Überzeugen Sie sich selbst!« Suchend sah ich mich im Raum um. Mein Blick fiel auf die Obstschale.
    Als ich nach zwei verschrumpelten Äpfeln und einer Mandarine griff, erhob sich ein Schwarm winziger Fliegen in die Luft.
    »Darum kümmere ich mich gleich«, erklärte ich. »Aber jetzt aufgepasst!«
    Nachdem ich eine Weile auf der Stelle jongliert hatte, begann ich vorsichtig im Raum auf und

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