Der Sommermörder
seltsam?«
Morris wirkte überrascht. »Erst lernen Sie Leute kennen, die Joshs Mutter gekannt haben. Und jetzt auch noch Bekannte von Zoë. Das finde ich seltsam.«
»Wirklich? Ich halte das irgendwie für wichtig.«
Er murmelte etwas, das nach vager Zustimmung klang.
Als er mit dem Essen fertig war, stand er auf und fischte ein Handy aus seiner Jackentasche.
»Mal sehen, ob ich irgendwelche Nachrichten bekommen habe«, sagte er. Er stellte sich ans Fenster, drückte an seinem Telefon verschiedene Knöpfe und lauschte mir gerunzelter Stirn.
»Mist«, sagte er und begann, seine Jacke zuzuknöpfen.
»Ich werde dringend gebraucht. Ich fürchte, ich muss die Wohnungsbesichtigung ausfallen lassen. Tut mir Leid.
Und das, nachdem ich Ihnen gerade versprochen habe zu helfen. Jetzt habe ich wirklich ein schlechtes Gewissen.«
»Das brauchen Sie nicht.«
Bevor er ging, nahm er meine Hand und drückte sie. Er stand auf mich, das war nicht zu übersehen. Er hatte mich gleich auf Anhieb sympathisch gefunden, schon an dem Tag, als er vorbeigekommen war, um meinen Computer zu reparieren. War ihm denn nicht klar, dass das das Letzte war, wonach mir jetzt der Sinn stand? Im Moment erschien es mir absolut unvorstellbar, eines Tages wieder einen Mann sexuell zu begehren.
Kurz darauf brach auch Josh auf. Als ich ihn an der Tür auf die Wange küsste, traten ihm Tränen in die Augen.
»Bis bald mal wieder«, sagte ich, um einen möglichst fröhlichen Ton bemüht. »Pass auf dich auf!«
Mit hängenden Schultern setzte er sich in Bewegung.
Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um und stieß hervor: »Selber! Ich meine, passen Sie auf sich auf!«
18. KAPITEL
uy trug einen schokoladebraunen Anzug sowie eine Bart-Sim
G
pson-Krawatte und lächelte. Er hatte sehr weiße Zähne und war extrem braun gebrannt. Nachdem er mir kräftig die Hand geschüttelt hatte, fragte er mich, ob er Nadia zu mir sagen dürfe, und nannte mich von da an ständig beim Namen. Wahrscheinlich hatte er das in einem Kurs gelernt. Als er die Haustür aufschloss, sagte eine Stimme hinter uns: »Nadia?«
Ich drehte mich um. Vor mir stand eine Frau in meinem Alter, die auch etwa die gleiche Größe und Figur hatte wie ich. Sie trug ein ärmelloses gelbes Top und einen knallroten Rock, der so kurz war, dass ich fast die Rundung ihrer Pobacken sehen konnte. Ihre nackten braunen Beine waren kräftig und wohl geformt. Sie hatte ihr glänzendes dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und einen Lippenstift aufgelegt, der im Farbton genau zum Rock passte. Sie wirkte intelligent, lebhaft und energisch. Bei ihrem Anblick ging es mir gleich besser.
»Louise? Ich bin froh, dass Sie gekommen sind.«
Sie lächelte mich aufmunternd an. Zusammen betraten wir einen düsteren Gang und stiegen eine schmale Treppe hinauf.
»Das ist das Wohnzimmer«, erklärte Guy überflüssigerweise, während wir einen engen Raum betraten, der muffig und unbewohnt roch.
Die dünnen orangefarbenen Vorhänge waren halb zugezogen. Ich trat an das kleine Fenster und öffnete es.
Was für eine deprimierende kleine Wohnung. »Hören Sie«, wandte ich mich an Guy, »würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir uns allein ein wenig umsehen?
Vielleicht könnten Sie draußen auf uns warten?«
»Brauchen Sie mich denn …«
»Nein«, fiel ihm Louise ins Wort. Nachdem er gegangen war, fügte sie hinzu: »Ein fieser Typ. Zoë konnte ihn nicht ausstehen. Er wollte unbedingt mit ihr ausgehen, hat sie immer wieder angemacht.«
Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Zoë mit dem lieben Lächeln hatte hier gelebt. Im Zimmer nebenan war sie gestorben.
»Nach allem, was ich über sie gehört habe, muss sie sehr nett gewesen sein«, sagte ich. »Ich wünschte …« Ich hielt inne.
»Sie war ein wundervoller Mensch«, erklärte Louise.
»Ich hasse es zu sagen: ›war‹. Ihre Schüler haben sie vergöttert. Die meisten Männer waren auch ziemlich angetan von ihr. Sie hatte etwas an sich …«
»Ja?«
Louise wanderte gedankenverloren durch den Raum. Es war offensichtlich, dass ihre Augen Dinge sahen, die ich nicht sehen konnte. Als sie wieder zu sprechen begann, schien es mir, als würde sie zu sich selbst reden. »Sie hatte sehr früh ihre Mutter verloren, und irgendwie sah man ihr das an. Man hatte immer das Gefühl, sie beschützen zu müssen. Vielleicht ist das der Grund, warum …«
»Ja?«
»Wer weiß? Warum sucht sich so ein Typ eine ganz bestimmte
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