Der Sommermörder
okay?«, flüsterte er.
Ich nickte. Mein Blick wanderte immer wieder zu Morris, und jedes Mal, wenn ich ihn ansah, starrte er zurück. Er fixierte mich mit seinem unverletzten Auge, das niemals zu blinzeln schien. Ein Beamter beugte sich über ihn und sagte etwas, aber sein Blick blieb auf mich gerichtet.
»Setz dich«, sagte Cameron zu mir.
Ich sah mich um. Mit Camerons Hilfe schaffte ich es bis zum Tisch, wo ich so Platz nahm, dass ich Morris nicht sehen musste. Ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen, wenn ich noch eine Sekunde länger gezwungen wäre, ihn anzuschauen.
»Hör zu, Nadia, bevor wir weiterreden, muss ich dich über deine Rechte aufklären. Du brauchst nichts zu sagen, wenn du nicht möchtest. Aber wenn du etwas sagst, dann kann alles, was du von dir gibst, als Beweismaterial gegen dich verwendet werden, falls Anklage gegen dich erhoben wird. Außerdem hast du ein Recht auf einen Anwalt.
Wenn du möchtest, können wir einen für dich organisieren. Hast du mich verstanden?«
Ich nickte.
»Nein, du musst laut sagen, dass du mich verstanden hast.«
»Ich habe verstanden. Ich brauche keinen Anwalt. Ich kann für mich selbst sprechen.«
»Was ist passiert?«
»Wirf einen Blick in die Schublade. Dort drüben.«
Er trat an die offene Haustür und rief hinaus, dass er jemanden von der Spurensicherung brauche. Gerade kam ein Krankenwagen mit quietschenden Reifen vor dem Haus zum Stehen. Ein Mann und eine Frau im grünen Overall stürmten herein und beugten sich über Morris.
Cameron starrte mich an. Dann streifte er sich ein paar dünne Plastikhandschuhe über, nicht solche, wie Chirurgen sie benutzen, sondern eher welche von der billigen Sorte, die man an der Tankstelle bekam. Er zog die Schublade auf und sah sich die Fotos an.
»Er kennt Fred«, sagte ich.
Die Situation bekam langsam absurde Züge. Cameron starrte verblüfft auf die Bilder. Morris wimmerte vor Schmerz, während ihm die Sanitäter die Hose aufschnitten. Dann traf Links ein.
»Kann mir mal einer erklären, was hier los ist?«, wandte er sich an Cameron.
»Sie hat Morris mit dem Bügeleisen attackiert.«
»Was zum Teufel – warum?«
»Sie behauptet, er ist der Mörder.«
»Aber …«
Cameron reichte Links eines der Fotos. Links starrte es an. Dann sah er mich an.
»Ja, aber …« Er wandte sich wieder an Cameron.
»Haben Sie sie auf ihre Rechte hingewiesen?«
»Ja. Sie sagt, sie ist bereit zu reden.«
»Gut. Was ist mit Burnside?«
»Ich konnte noch nicht mit ihm sprechen.«
Links beugte sich zu Morris hinunter und zeigte ihm das Foto. Nachdem Morris nur stöhnend den Kopf geschüttelt hatte, kam Links zu mir herüber und setzte sich neben mich. Ich fühlte mich jetzt sehr ruhig, hatte einen völlig klaren Kopf.
»Hat Morris Sie angegriffen?«, fragte Links.
»Nein. Wenn Morris mich angegriffen hätte, wäre ich jetzt tot. Nein, nicht tot. Ich würde gerade sterben. Durch seine Hand.«
»Aber Nadia«, widersprach Links in sanftem Ton, »ist Ihnen denn nicht klar, dass Morris Burnside den Mord an Zoë Haratounian gar nicht begangen haben kann? Er war zu dem Zeitpunkt nicht in der Stadt.«
»Ich weiß. Ich weiß, wer Zoë umgebracht hat.«
»Wer?«
»Die Erkenntnis ist mir ganz plötzlich gekommen. Ihr habt euch alle in den Kopf gesetzt, dass dieselbe Person, die Zoë die Briefe geschickt hat, sie auch umgebracht haben muss. Aber was, wenn jemand anderer schneller war?«
»Warum sollte jemand anderer sie umbringen?«
»Ich habe über etwas nachgedacht, das Grace Schilling zu mir gesagt hat. Über das Prinzip, dass der Verbrecher immer etwas von sich am Tatort zurücklässt und auch immer etwas mitnimmt. Haben Sie davon schon mal gehört?« Ich warf einen Blick zu Cameron hinüber, der noch immer mit dem Inhalt der Schublade beschäftigt war.
»Ich habe den Bericht der Spurensicherung gelesen.
Erinnern Sie sich, was in dem Bericht über das T-Shirt steht, das Zoë trug, als sie aufgefunden wurde?«
»Ja, ich erinnere mich, aber wie um alles in der Welt haben Sie –«
»Erinnern Sie sich an das Ergebnis der Analyse?«
»Auf dem T-Shirt wurden die gleichen Haare und Fasern gefunden wie auf ihren anderen Sachen, den Teppichen, dem Bettzeug. Nur Spuren von ihr selbst und ihrem Exfreund.«
»Das Shirt hätte aber keine Spuren von Fred aufweisen dürfen. Zoë hat es in einer Plastiktüte in die Wohnung gebracht. Sie hatte es erst am Vortag mit ihrer Freundin Louise gekauft.« Ich blickte mich nach
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