Der Sommermörder
kampflustig. »Ich habe keinen Job wie Sie. Ich habe Kinder, und ich habe dieses Haus.« Letzteres sagte ich mit einer gewissen Genugtuung. »Ich arbeite nicht mehr, seit ich mit Josh schwanger geworden bin. Das ist nun fünfzehn Jahre her. Clive und ich waren uns von vornherein einig, dass ich mit dem Arbeiten aufhören würde. Ich war früher Model. Aber nicht, wie Sie denken.
Ich habe als Hand-Model gearbeitet.«
Sie sah mich verdutzt an.
»Als Hand-Model?«
»Sie wissen schon, auf Postern für Nagellack und solche Sachen. Da ist meist nur eine riesige Hand zu sehen. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre war das oft die meine.«
Wir blickten beide auf meine Hände hinunter, die ich in den Schoß gelegt hatte. Ich versuche nach wie vor, sie zu pflegen, gehe einmal pro Woche zur Maniküre, benutze dieselbe teure Lotion wie früher und trage beim Abspülen grundsätzlich Handschuhe. Trotzdem sind sie nicht mehr das, was sie mal waren. Meine Finger sind insgesamt ein bisschen dicker geworden. Ich kann weder meinen Verlobungsring noch meinen Ehering abnehmen, nicht einmal, wenn ich mir die Finger mit Butter einreibe.
Dr.
Schilling lächelte zum ersten Mal. »Es ist ein bisschen so, als hätte sich jemand in Sie verliebt«, erklärte sie. »Aus der Ferne. Wie in einem Roman. Oder aber ganz aus der Nähe. Es könnte jemand sein, den Sie noch nie zuvor gesehen haben, oder jemand, dem Sie jeden Tag begegnen. Vielleicht würde es uns weiterhelfen, wenn Sie mal darüber nachdenken würden, ob sich einer von den Männern, mit denen Sie regelmäßig zusammentreffen, seltsam oder ungebührlich verhält.«
Ich stieß ein Grunzen aus. »Da fallen mir auf Anhieb meine drei Söhne ein«, sagte ich.
»Vielleicht können Sie mir Ihr Leben ein wenig beschreiben.«
»O je, Sie meinen, einen Tag in meinem Leben?«
»Ich würde mir gern ein Bild davon machen, welche Dinge für Sie wichtig sind.«
»Das ist doch lächerlich! Sie werden bestimmt keinen Verbrecher fangen, indem Sie mich fragen, wie ich über mein Leben denke.« Sie wartete, aber diesmal schlug ich sie mit ihren eigenen Waffen. Wortlos erwiderte ich ihren Blick. Im Hintergrund hörte ich ein lautes Krachen, als hätte jemand etwas Schweres fallen lassen.
Wahrscheinlich irgendein tölpelhafter Polizist.
»Verbringen Sie viel Zeit mit Ihren Söhnen?«
»Ich bin schließlich ihre Mutter. Auch wenn ich mir manchmal eher vorkomme wie ihr unbezahlter Chauffeur.«
»Und Ihr Mann?«
»Clive arbeitet wahnsinnig viel. Er ist …« Ich hielt mitten im Satz inne. Irgendwie sah ich nicht ein, wieso ich dieser Frau in allen Einzelheiten erklären sollte, was ich selbst nicht verstand.
»Ich bekomme ihn im Moment kaum zu Gesicht.«
»Wie lange sind Sie schon verheiratet? Fünfzehn Jahre?«
»Ja. Diesen Herbst werden es sechzehn.« Lieber Himmel, wirklich schon so lang? Ich musste wider Willen seufzen. »Ich war damals noch sehr jung.«
»Und würden Sie Ihre Ehe als glücklich beschreiben?
Stehen Sie sich nahe?«
»Ich würde sie Ihnen am liebsten gar nicht beschreiben.«
»Jenny.« Sie lehnte sich vor, und einen Moment lang befürchtete ich, sie könnte meine Hand nehmen und auf eine Art drücken, von der mir schlecht werden würde. »Da draußen gibt es einen Mann, der behauptet, dass er Sie umbringen möchte. Egal, wie lächerlich das auch klingen mag, wir müssen es ernst nehmen.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Es ist eine ganz normale Ehe«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was Sie hören wollen.
Wir haben unsere Höhen und Tiefen, unsere dummen Zankereien, genau wie jedes andere Ehepaar auch.«
»Haben Sie Ihrem Mann von dem Brief erzählt?«
»Der Detective hat mich darum gebeten. Ich habe in seiner Kanzlei eine Nachricht für ihn hinterlassen. Er wird mich später zurückrufen.«
Sie starrte mich an, als könnte sie durch mich hindurchsehen. Mir wurde unter ihrem Blick immer unbehaglicher zu Mute.
»Jenny«, brach sie schließlich das Schweigen. »Mir ist klar, dass Sie sich belästigt fühlen. Oder fühlen werden.
Das Schlimme daran ist, dass Sie auch unsere Versuche, Ihnen zu helfen, zum Teil als Belästigung empfinden werden. Es gibt eine Menge Dinge, die ich Sie noch fragen muss.« Sie ließ ihren Blick über das allgemeine Chaos schweifen und setzte wieder ihr wissendes Lächeln auf.
»Betrachten Sie mich einfach als eine Art Bauinspektorin, die das Haus nach Stellen absucht, durch die Wasser eindringen könnte.«
»Sagen Sie es mir, wenn Sie
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