Der Sommermörder
antwortete ich. »Es lässt sich von hinten öffnen. Der Verschluss ist ziemlich knifflig. Es enthält eine Locke von meinem Haar. Hier, sehen Sie.«
Er starrte auf das Schmuckstück hinunter. »Ja«, erwiderte er, immer noch atemlos. Dr. Schilling rang ebenfalls nach Luft. Sie sahen sich beide mit offenem Mund an. »Einen Moment!«, sagte er. »Einen Moment!«
Und er spurtete los, rannte regelrecht aus dem Raum.
11. KAPITEL
asGanze war mir völlig schleierhaft. Ich verstand es einfach nicht. Nichts davon. Ich hatte das Gef D
ühl,
eins von den verflixten Computerspielen vor mir zu haben, die Josh per Post zugestellt bekommt und jedes Mal sein mürrisches Gesicht aufleuchten lassen, aber ich kannte nicht mal die Sprache, das Alphabet, in dem dieses Spiel geschrieben war. Für mich waren es bloß Pünktchen, Striche und Zeichen, ein unverständlicher Code. Ich warf einen Blick zu Dr. Schilling hinüber, als könnte sie mich aufklären, aber sie reagierte lediglich wieder mit diesem unverbindlichen, beruhigenden Lächeln, das mir immer eine Gänsehaut verursachte. Mein Blick wanderte zu dem Medaillon, das ich zwischen all den anderen seltsamen Gegenständen an seinen Platz zurückgelegt hatte. Erneut streckte ich die Hand aus, berührte es diesmal nur leicht mit einem Finger, als befürchtete ich, es könnte vor meinen Augen explodieren.
»Ich will nach Hause«, sagte ich. Das war nicht wirklich ernst gemeint, aber ich musste etwas sagen, um das Schweigen zu brechen, das sich in dem tristen kleinen Raum ausgebreitet hatte.
»Es dauert nicht mehr lang«, antwortete Dr. Schilling.
»Ich brauche etwas zu essen. Ich habe Hunger.«
Sie nickte geistesabwesend, mit leicht gerunzelter Stirn.
»Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal was gegessen habe. Es muss Ewigkeiten her sein.« Ich versuchte, mir die letzten Tage ins Gedächtnis zu rufen, aber es war, als würde ich in eine tintenschwarze Dunkelheit hineinspähen. »Kann mir jemand verraten, wie mein Medaillon hierher gekommen ist?«
»Ich bin sicher, das wird sich …«
Sie sprach den Satz nicht zu Ende, weil in dem Moment Stadler und Links den Raum betraten und mir gegenüber Platz nahmen. Beide Männer wirkten sehr aufgeregt.
Links hob das Medaillon an seinem silbernen Kettchen hoch. »Sind Sie ganz sicher, dass das Ihnen gehört, Mrs. Hintlesham?«
»Natürlich bin ich sicher. Clive hat sogar ein Foto davon, für unsere Versicherung.«
»Wann haben Sie die Kette verloren?«
Darüber musste ich erst mal nachdenken.
»Schwer zu sagen. Ich weiß noch, dass ich sie zu einem Konzert getragen habe. Das war am neunten Juni, dem Tag vor dem Geburtstag meiner Mutter. Ein paar Wochen später wollte ich sie zu einem Fest in Clives Kanzlei tragen, konnte sie aber nicht finden.«
»Erinnern Sie sich an das genaue Datum?«
»Lieber Himmel! Wozu habe ich Ihnen eigentlich meinen Terminplaner gegeben? Es muss irgendwann im Juni gewesen sein, Ende Juni.«
Stadler blickte auf das Notizbuch, das aufgeschlagen auf seinem Schoß lag, und nickte zufrieden.
»Wieso ist das so wichtig? Wo haben Sie die Kette gefunden?«
Stadler sah mir in die Augen, und ich zwang mich, seinem Blick nicht auszuweichen. Einen Moment lang dachte ich, er würde mir etwas sagen, aber der Moment ging vorüber, und er schaute wieder mit diesem Ausdruck heimlicher Befriedigung auf sein Notizbuch hinunter.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann sagte ich laut: »Kann mir mal bitte jemand verraten, was hier vor sich geht?!« Aber der Zorn in meiner Stimme war nicht echt, meine ganze Wut plötzlich verraucht. »Ich verstehe das alles nicht!«
»Mrs. Hintlesham«, begann Links, »lassen Sie mich klarstellen …«
»Nicht jetzt«, fiel ihm Dr. Schilling ins Wort. Sie stand auf.
»Ich fahre Jenny jetzt nach Hause. Sie war die letzten Tage sehr großer Belastung ausgesetzt und muss sich erst mal ein wenig erholen. Wir verschieben das auf später.«
»Was? Was wollten Sie klarstellen?«
»Kommen Sie, Jenny.«
»Ich mag keine Geheimnisse. Ich mag es nicht, wenn andere Leute Dinge über mich wissen, von denen ich keine Ahnung habe. Ist Ihnen der Kerl ins Netz gegangen?«
Dr. Schilling schob eine Hand unter meinen Ellbogen.
Ich stand auf. Warum um alles in der Welt trug ich eigentlich diese Baumwollhose? Ich hatte sie schon seit Jahren nicht mehr angehabt. Sie stand mir überhaupt nicht.
Alle benahmen sich mir gegenüber so seltsam. Das Haus war von einer neuen Art von
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