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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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tun, besteht darin, Sie so zu sehen, wie er es tut. Auch wenn das für Sie nicht sehr schön ist, fürchte ich.«
    »Wir sind auf Sie angewiesen«, meinte Stadler. »Uns ist klar, dass wir Sie damit noch mehr unter Druck setzen, aber wir hätten gern, dass Sie über Ihr Leben nachdenken und uns informieren, falls Sie dabei auf irgendwelche Auffälligkeiten stoßen.«
    »Wir haben es hier nicht mit einem gewöhnlichen Spanner zu tun«, fügte Dr. Schilling hinzu. »Es könnte jemand sein, dem Sie auf der Hauptstraße öfter als normal in die Arme laufen. Genauso gut könnte es ein Freund sein, der Ihnen plötzlich ein bisschen mehr Aufmerksamkeit schenkt als sonst, oder ein bisschen weniger. Er möchte seine Macht ausspielen, und deshalb ist es entscheidend, dass Sie bewusst auf Ihre Umgebung achten, auf alles, was neu oder ungewöhnlich ist. Wie wir gesehen haben, geht es ihm beispielsweise darum, zu demonstrieren, dass er trotz Polizei Dinge zu Ihnen ins Haus schaffen kann.«
    Ich schnaubte verächtlich.
    »Das Problem sind nicht so sehr die Sachen, die neu eintreffen«, sagte ich, »sondern eher die alten, die verschwinden.«
    Stadler riss den Kopf hoch. »Was meinen Sie damit?«
    »Nichts, was Ihnen irgendwie weiterhelfen wird. Sind Sie jemals umgezogen? Es waren zwei Möbelwagen nötig, um unser ganzes Zeug hierher zu verfrachten, und ich bin davon überzeugt, dass irgendwo auf der M25 noch immer ein kleiner Lieferwagen mit all den Sachen herumkurvt, die es nicht bis zu uns geschafft haben. Schuhe, Teile von Küchenmaschinen, meine Lieblingsbluse und so weiter.«
    »Sind Sie sicher, dass das alles während des Umzugs abhanden gekommen ist?«
    »Nun, seien Sie nicht albern«, sagte ich. »Der Mann kann unmöglich all dieses Zeug gestohlen haben, es sei denn, er wäre mit einem Lieferwagen und vier Helfern vorgefahren. Und das hätten sogar Sie mitbekommen.«
    »Trotzdem …«, meinte Stadler nachdenklich. Er beugte sich zu Dr. Schilling hinüber und flüsterte ihr etwas zu.
    Dann blickte er hoch. »Jenny, könnten Sie uns einen Gefallen tun?«

    Das Ganze sah aus wie ein Kofferraum-Flohmarkt, organisiert von einem blinden Geisteskranken. Nachdem Stadler uns telefonisch angekündigt hatte, waren die beiden mit mir zum Polizeirevier gefahren, wo ich, wie Stadler mir erklärte, einen Blick auf ein paar Gegenstände werfen sollte. Im Wagen legte mir Dr. Schilling die Hand auf den Arm – eine Geste, die mich schaudern ließ – und meinte, ich solle mir die Sachen einfach nur ansehen und sagen, was mir dazu einfalle. Spontan fiel mir dazu eigentlich nur eins ein: dass das Ganze verdammt nach Hokuspokus klang.
    Als ich die Sachen dann sah, musste ich fast lachen. Ein Kamm, ein ziemlich billig aussehender rosa Slip, ein Plüschteddy, ein Stein, eine Trillerpfeife, ein eindeutig pornografisches Kartenspiel.
    »Also ehrlich«, sagte ich. »Ich weiß wirklich nicht, was Sie sich davon …«
    Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde mir jemand in den Magen boxen und gleichzeitig einen Elektroschock verpassen. Da war es. Das komische kleine Medaillon.
    Alle möglichen Erinnerungen stürmten auf mich ein. Ein Tag und eine Nacht in Brighton, an unserem ersten Hochzeitstag. In späteren Jahren hatten wir noblere Orte besucht, aber diese erste Reise war die schönste gewesen.
    Wir waren durch all die schnuckeligen kleinen Einkaufsstraßen in der Nähe der Strandpromenade gewandert und hatten über die schrecklichen Souvenirläden gelästert. Einen Moment später fiel uns dieses Medaillon im Schaufenster eines Juweliers auf, und Clive war hineingegangen und hatte es mir einfach gekauft. Ein weiterer Gedanke schoss mir durch den Kopf.
    In jener Nacht im Hotel hatte Clive mich ausgezogen. Nur meine neue Kette hatte er nicht abgenommen. Das silberne Medaillon hatte zwischen meinen Brüsten gehangen. Er hatte zuerst es und dann meine Brüste geküsst. Verrückt, welche Dinge sich ins Gedächtnis eingraben. Ich spürte, wie ich rot wurde. Fast wären mir die Tränen gekommen.
    Ich griff nach dem Medaillon, spürte das vertraute Gewicht auf meiner Handfläche.
    »Hübsch, nicht wahr?«, meinte Stadler.
    »Es gehört mir«, antwortete ich.
    Sein Gesicht nahm einen völlig verdutzten Ausdruck an.
    Es war fast schon komisch. »Was?«, fragte er atemlos.
    »Ein Geschenk von Clive«, antwortete ich wie in Trance. »Ich konnte es in letzter Zeit nicht finden.«
    »Aber …«, begann Stadler. »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich«,

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