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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Patienten behandle. Hier aber besteht meine Aufgabe darin, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um der Polizei zu helfen, diesen gefährlichen Menschen zu fassen.«
    Ihre Stimme klang jetzt sehr sanft, als spräche sie zu einem Kind, das mit Fieber im Bett lag. »Sie sind zur Zielscheibe eines Mannes geworden, der von Ihnen besessen ist. Eine Möglichkeit, diesen Menschen hinter Schloss und Riegel zu bringen, besteht darin herauszufinden, wieso er ausgerechnet auf Sie aufmerksam geworden ist, und das bringt manchmal mit sich, dass ich ebenfalls ziemlich aufdringlich werden muss. Eigentlich wollte ich Ihnen nur sagen, dass Sie schon einen sehr guten Arzt haben und ich ihn nicht ersetzen möchte. Ebenso wenig möchte ich Ihnen vorschreiben, wie Sie Ihr Leben führen sollen.«
    Ich sah sie mit fragendem Blick und gerunzelter Stirn an.
    Plötzlich stellte ich mir die beiden vor, wie sie über mich diskutierten und den Entschluss fassten, zu mir hineinzugehen und mich besonders vorsichtig und
    ›einfühlsam‹ zu behandeln. Diese komische Jenny Hintlesham, mir der man so behutsam umgehen muss.
    »Ich vermute, Sie haben mittlerweile festgestellt, dass ich total plemplem bin«, sagte ich. Das war als niederschmetternde Abfuhr gedacht, aber es kam ganz anders an.
    Dr.
    Schilling lächelte nicht. »Sie meinen, wegen gestern?« Ich gab keine Antwort. Ich hatte nicht vor, über irgendetwas, das gestern passiert war, mit ihr zu reden.
    »Sie stehen unter sehr großem Druck. Wir alle hier. Wir versuchen, Ihnen zu helfen, aber der größte Druck lastet auf Ihnen. Für Sie ist es am schlimmsten. Sie sollen wissen, dass uns das durchaus bewusst ist.«

    Ich hob meine verbundene Hand und betrachtete sie.
    Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber sie schien mehr wehzutun, wenn ich sie ansah. »Spüren Sie meine Schmerzen auch?«, fragte ich in ziemlich bitterem Ton.
    »Ich will nicht, dass Sie Mitleid mit mir haben«, fügte ich hinzu. »Ich möchte, dass Sie dem allen ein Ende machen.«
    Ich rechnete mit einer wütenden oder genervten Reaktion, aber Dr.
    Schilling blieb völlig ruhig. »Ich
    weiß«, sagte sie nur. »Darüber wird Detective Inspector Stadler jetzt mit Ihnen sprechen.«
    Sie schob ihren Stuhl ein Stück zur Seite, saß aber noch immer ganz in meiner Nähe. Stadler trat vor. Seine Miene erinnerte mich an einen freundlichen Schutzmann, der in eine Grundschule gekommen ist, um den kleinen Knirpsen ein paar Hinweise für sicheres Verhalten im Straßenverkehr zu geben. Das passte gar nicht zu seinem Libertingesicht. Er zog sich einen Stuhl heran. »In Ordnung, Jenny?«, fragte er.
    Obwohl ich leicht schockiert war, weil er mich einfach beim Vornamen nannte, nickte ich. Aus der kurzen Entfernung sah ich zum ersten Mal, dass er eins von diesen neckischen Grübchen am Kinn hatte, die einen irgendwie dazu reizen, mit dem Finger hineinzustupsen.
    »Sie fragen sich natürlich zu Recht, wieso wir diesen Mann nicht einfach schnappen. Das ist schließlich unser Job, stimmt’s? Ich möchte Ihnen hier keinen Vortrag halten, aber Fakt ist, dass die Mehrzahl der Verbrechen verdammt leicht aufzuklären ist, weil die meisten Leute sich dabei nicht viel Mühe geben. Sie werden handgreiflich oder stehlen etwas, jemand sieht ihnen dabei zu, und das war’s. Wir brauchen ihnen nur noch die Handschellen anzulegen. Ganz anders verhält es sich mit dem Verbrechertyp, mit dem wir es hier zu tun haben. Er ist kein Genie, aber die Sache ist sein Hobby, und er steckt eine Menge Mühe und Energie hinein. Genauso gut hätte er einen Anorak anziehen und von einer Brücke aus Züge beobachten können, aber stattdessen hat er sich Sie ausgesucht.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass er nicht zu fassen ist?«
    »Zumindest ist es schwierig, ihn auf normale Art zu fassen.«
    »Er ist bis an meine Haustür gekommen. Unter Ihrer Nase.«
    »Nun gehen Sie doch nicht gar so streng mit uns ins Gericht!«, erwiderte Stadler mit einem verlegenen Lächeln.
    »Aber das ist ein ganz entscheidender Punkt«, mischte sich Dr. Schilling ein. »Wenn er wollte, könnte er eine Frau einfach tätlich angreifen. Aber ihm geht es darum, seine Macht und Überlegenheit zu demonstrieren.«
    »Seine Psyche interessiert mich nicht«, erklärte ich gereizt.
    »Mich schon«, entgegnete Dr. Schilling. »Seine Psyche ist einer unserer größten Trümpfe. Damit können wir ihn schnappen, indem wir sie gegen ihn einsetzen. Und eine der viel versprechendsten Möglichkeiten, das zu

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