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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Energie erfüllt, als wären die Vorhänge zurückgezogen und alle Fenster aufgerissen worden. Natürlich erklärte mir niemand etwas, aber Dr. Schilling leistete mir zusammen mit einer gelangweilt wirkenden Polizeibeamtin Gesellschaft. Links und Stadler tauchten kurz darauf ebenfalls auf. Sie gaben sich alle irgendwelche Zeichen oder flüsterten miteinander, wobei sie jedes Mal in meine Richtung sahen, aber sofort den Kopf abwandten, wenn sich unsere Blicke trafen.
    Dr.
    Schilling wirkte nicht so enthusiastisch wie die anderen.
    »Meinen Sie, Sie könnten Ihren Mann anrufen, Mrs. Hintlesham?«, fragte Stadler, der mir in die Küche gefolgt war.
    »Warum rufen Sie ihn nicht selbst an?«
    »Wir möchten mit ihm sprechen. Wir dachten, dass es für ihn vielleicht angenehmer ist, das von Ihnen zu hören.«
    »Wann?«
    »Jetzt gleich.«
    »Wozu soll denn das um Himmels willen gut sein?«
    »Wir müssen ein paar Punkte klären.«
    »Wir sind am frühen Abend zu einer Cocktailparty eingeladen. Mit wichtigen Leuten.«
    »Je schneller wir mit ihm reden können, desto schneller ist er uns wieder los.« Ich griff nach dem Hörer. »Er wird verärgert sein«, sagte ich.
    Er war sogar sehr verärgert.

    Das Telefon klingelte. Es waren Josh und Harry. Obwohl sie aus Amerika anriefen, wo gerade früher Morgen war, klangen sie, als wären sie gleich um die Ecke und würden jeden Moment ins Haus gestürmt kommen. Harry erzählte mir, dass er im See einen Zander gefangen und das Surfen gelernt habe. Josh fragte mich, wie es zu Hause laufe.
    Seine Stimme sprang aus der Jungen- in die Männerlage, wie sie es immer tat, wenn er sich aufregte.
    »Gut, mein Schatz.«
    »Ist die Polizei noch immer da?«
    »Ich glaube, sie macht Fortschritte.« Ich spürte, wie sich bei diesen Worten ein Hauch von Hoffnung in mir regte.
    »Müssen wir wirklich noch zwei Wochen hier bleiben?«

    »Sei nicht albern, Liebling, ihr habt bestimmt eine Menge Spaß. Reicht euer Geld?«
    »Ja, aber …«
    »Und habe ich euch die richtigen Klamotten eingepackt?
    Oh, und denk daran, Harry zu sagen, dass in deinem Rucksack Reservebatterien für seinen Walkman sind.«
    »Ja, mach ich.«
    Ich legte auf. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass unser Gespräch nicht besonders gut gelaufen war. Christo tapste vorbei, eine Decke im Schlepptau. Beim Anblick seines fleckigen, trotzigen Gesichts empfand ich plötzlich Schuldgefühle.
    »Hallo, Christo«, sagte ich zu ihm. »Bekommt Mummy einen Kuss?«
    Er wandte sich zu mir um.
    »Ich bin nicht Christo«, erwiderte er. »Ich bin Alexander. Und du bist nicht meine Mummy.« Lena rief mit ihrem schwedischen Singsangakzent nach ihm. »Ich komme schon, Mummy!«, erwiderte er und warf einen triumphierenden Blick in meine Richtung, bevor er losrannte.

    Ich vertauschte meine Hose mit einem gelben Sommerkleid. Während ich meine Ohrringe anlegte, warf ich einen Blick in den Spiegel. Ich trug kein Make-up.
    Mein Gesicht wirkte schmal und bleich, meine Frisur war eine Katastrophe, meine Augen hatten einen seltsamen Glanz, obwohl die Haut unter ihnen wie dünnes, knittriges Papier aussah, und über meine Wange zog sich ein langer roter Kratzer. Wie war er dort hingekommen? Ich erkannte mich selbst kaum wieder.

    Dr. Schilling bestand darauf, dass ich das Kräuteromelett aß, das sie mir zubereitet hatte. Die Kräuter hatte ich eigentlich für das Abendessen aufgespart, das ich für nach der Cocktailparty geplant hatte. Egal. Ich aß das ganze Omelett in ein paar Bissen, wobei ich kaum kaute und nach jeder hastig hinuntergeschlungenen Gabel voll ein Stück dunkles, leicht altbackenes Brot nachschob. Mir war gar nicht bewusst gewesen, was für einen Heißhunger ich hatte. Dr. Schilling sah mir beim Essen zu, das Kinn nachdenklich auf eine Hand gestützt. Sie starrte mich an, als würde ich ihr Rätsel aufgeben. Bald, dachte ich, wäre ich wieder in der Lage, alles in den Griff zu bekommen, das Haus einer Grundreinigung zu unterziehen, die Handwerker, den Gärtner und die Putzfrau zurückzuholen, tief durchzuatmen und die Energie zu finden, wieder Jenny Hintlesham zu sein. Jetzt aber hatte es etwas angenehm Betäubendes, sich ausnahmsweise mal umsorgen zu lassen. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, in meinem eigenen Haus zu sein. Es war für mich nur noch ein Ort, an dem ich saß und darauf wartete, dass etwas passierte. Alle warteten darauf, dass etwas passierte.
    Ich riss die Augen auf. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, eine Tür knallte

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