Der Sommermörder
zu, in der Diele waren schwere Schritte zu hören.
»Jenny. Jens, wo bist du?«
Grace Schilling und ich erhoben uns gleichzeitig, aber Stadler und Links waren schneller als wir. Wir trafen alle an der Treppe zusammen.
»Was geht hier vor?«, fragte Clive mit finsterer Miene.
Er sagte das so laut und abgehackt, dass mir der Kopf davon wehtat. In dem Moment fiel sein Blick auf eine Schachtel, die, gefüllt mit seinen wertvollen Dokumenten, auf dem Dielenboden stand. Ich sah, wie an seiner Stirn eine Ader zu pulsieren begann.
»Mr. Hintlesham«, begann Stadler, »danke, dass Sie gekommen sind.« Er war viel größer als Clive, der neben ihm vierschrötig und rotgesichtig wirkte.
»Ja?«
Er sprach mit Stadler, als wäre er ein besonders unwichtiger Geschäftspartner.
»Wir würden es vorziehen, wenn Sie uns begleiten könnten«, sagte Links.
Clive starrte ihn an. »Wie meinen Sie das?«, fragte er.
»Warum nicht hier?«
»Wir möchten, dass Sie eine Aussage machen. Es wäre wirklich besser.«
Clive warf einen Blick auf seine Uhr. »Herrgott noch mal! Ich hoffe für Sie, dass es wirklich wichtig ist!«
»Bitte«, sagte Stadler und hielt ihm die Tür auf. Clive wandte sich zu mir um, bevor er ging.
»Ruf Jan an und erzähl ihr irgendwas!«, fuhr er mich an.
»Irgendwas, das uns nicht beide wie Idioten aussehen lässt. Und Becky. Geh zu dieser Party und tu recht gut gelaunt, als wäre alles völlig normal, hörst du?« Ich legte ihm eine Hand auf den Arm, aber er schüttelte sie mit einer heftigen Bewegung ab. »Ich hab von diesem ganzen Theater die Schnauze voll«, schimpfte er.
»Gestrichen voll.«
Grace Schilling, die sich ebenfalls verabschiedete, knöpfte energisch ihre Jacke zu, ehe sie aus der Tür eilte.
Ich rief in der Kanzlei an und erklärte Jan, dass Clive Probleme mit dem Rücken habe. »Schon wieder?«, antwortete sie sarkastisch, was ich überhaupt nicht verstand. Zu Becky Richards sagte ich zwei Stunden später das Gleiche, woraufhin sie verständnisvoll lachte.
»Männer sind richtige Hypochonder, nicht wahr?«
Ich blickte mich im Raum um. All die Frauen in ihren schwarzen Kleidern und die Männer in ihren dunklen Anzügen. Die meisten von ihnen kannte ich zumindest vom Sehen, aber ich brachte plötzlich nicht mehr die Kraft auf, mich mit ihnen zu unterhalten. Mir fiel kein einziges Wort ein, das ich hätte sagen können. Ich fühlte mich völlig leer.
12. KAPITEL
live ließ auf sich warten, und ich fühlte mich zunehm
C
end fehl am Platz. Nervös spielte ich mit dem Glas in meiner Hand, sah mir Bilder an und wanderte zielstrebig von einem Raum in den anderen, als hätte ich irgendwo eine dringende Verabredung mit jemandem. Fast ein wenig entsetzt stellte ich fest, dass es für mich inzwischen eine völlig ungewohnte Erfahrung war, allein auszugehen. Irgendwie erschien es mir auch nicht richtig.
Ich habe schon manchmal im Scherz zu Clive gesagt, dass die Leute sowieso nur ihn sehen wollen, wenn wir gemeinsam eine Party besuchen, und ich im Grunde nur als Mrs. Clive dabei bin.
Deswegen war es für mich eher eine Erleichterung als eine Peinlichkeit, als Becky mir mitteilte, dass jemand an der Tür sei, der mit mir sprechen wolle.
»Ein Polizist«, erklärte sie verlegen und etwas verwirrt, aber mit viel Taktgefühl.
Wir wissen schließlich alle, was ein Polizist an der Tür für normale Menschen wie uns bedeutet: Jemand, den wir lieben, hat einen Unfall gehabt, ein Familienmitglied ist verschwunden oder gestorben. Aber da ich kein ganz so normaler Mensch mehr war, ging ich an die Tür, ohne mir Sorgen zu machen. Draußen warteten Stadler und ein uniformierter Beamter, den ich noch nie gesehen hatte.
Becky blieb einen Moment bei uns stehen, teils aus Höflichkeit, teils aus Neugier. Da der Beamte in ihrer Gegenwart offenbar nichts sagen wollte, drehte ich mich zu ihr um und sah sie fragend an. »Falls ich irgendwas tun kann, ich bin drinnen«, erklärte sie, ehe sie sich widerstrebend zurückzog.
Ich wandte mich wieder dem Beamten zu.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte er. »Man hat mich geschickt, um Ihnen auszurichten, dass Ihr Mann nicht kommen kann. Mr. Hintlesham wird noch verhört.«
»Oh«, sagte ich. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Wir versuchen lediglich ein paar Details zu klären.«
Wir standen vor Beckys Haustür und sahen uns an.
»Eigentlich möchte ich gar nicht wieder hineingehen«, sagte ich.
»Wir können Sie nach Hause fahren, wenn Sie
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