Der Sommermörder
Brief im Büro, und es ist Zeit, nach Hause zu gehen. Der Gedanke, dich nicht zu sehen, ist mir unerträglich, aber im September haben wir ja Genf.« Genf.
Eine Geschäftsreise. Davon hatte er noch gar nichts erwähnt. »Ich gebe es nur ungern zu, aber manchmal hasse ich sie auch, fast so sehr wie du.«
Ich legte den Brief weg und schluckte heftig, aber der Kloß in meinem Hals blieb. Demnach empfand er also Hass auf mich. Nicht Liebe. Nicht einmal Sympathie.
Hass. Ich sah wieder auf den Brief hinunter. »Aber das dürfen wir nicht. Wir werden eine Lösung finden und es irgendwie schaffen, zusammen zu sein. Wir werden einen Weg finden. Das hast du kürzlich zu mir gesagt, und ich glaube dir. All meine Liebe, Gloria.«
Ich faltete den Brief zusammen und schob ihn vorsichtig zurück in den Umschlag, ganz unten, wo er hingehörte.
Mein Blick fiel auf die anderen prall gefüllten Umschläge in der Schublade, und allein schon der Gedanke an ihren Inhalt erfüllte mich mit einem Gefühl tiefer Trostlosigkeit.
Als ich den obersten anhob, sah ich, dass darunter ein Foto lag. Ein Foto von einer Frau, aber nicht von Gloria. Es war offenbar auf einer Party aufgenommen worden. Die Frau hob lachend ihr Glas, während sie in die Kamera blickte.
Sie war ganz anders als die Frauen, die ich kannte.
Irgendwie lustig. Klein, schlank und sehr jung.
Dunkelblondes Haar, Minirock, billige Bluse, aber alles recht lässig. Einen verrückten Augenblick lang fand ich, dass sie nett aussah, dass sie meine Freundin hätte sein können. Aber dann stieg eine solche Wut in mir hoch, dass es mir richtig übel wurde und ich ihren Anblick nicht mehr ertragen konnte. Ich legte die Aufnahme zurück und schloss die Schublade. Als ich den Raum verließ, hätte ich beinahe vergessen, das Licht zu löschen.
13. KAPITEL
ch war von Dunkelheit umgeben. Mein ganzes Leben bestand nur noch aus Dunkelhei
I
t. Alles, was ich einmal
als selbstverständlich betrachtet hatte, drohte nun über mir zusammenzubrechen. Ich war davon ausgegangen, dass dort draußen jemand war, der mir etwas antun wollte, und dieser Gedanke war schon erschreckend genug gewesen, aber nun erkannte ich, dass ich nirgendwo sicher war.
Nicht dort draußen, nicht hier drinnen, nicht bei dem Menschen, mit dem ich seit fünfzehn Jahren verheiratet war, nicht einmal in meinem eigenen Haus, meinem eigenen Zimmer, meinem eigenen Bett. Nirgendwo.
Josh und Harry waren in Amerika, in einem Zelt auf einem Berg, weit weg von zu Hause. Christo tat so, als wäre ich gar nicht seine Mutter. Und Clive hasste mich.
Zumindest hatte er das zu Gloria gesagt. Während ich in dieser Nacht in meinem Bett lag, testete ich das Wort, testete es, wie man eine Batterie testet, indem man sie mit der Zungenspitze berührt. Hass. Hass. Hass. Das Wort saß wie ein Stachel in meinem Gehirn. Mein Mann hasste mich. Seit wann, fragte ich mich. Seit Gloria oder schon vorher? Immer schon?
Draußen strich der Wind leise durch die von der Hitze schlaffen Bäume. Ich stellte mir vor, dass dort draußen jemand stand und auf mein Fenster starrte.
Vielleicht wünschte sich mein Ehemann meinen Tod.
Mit einem Ruck setzte ich mich auf, schaltete die Nachttischlampe an. Nein, das war lächerlich. Verrückt, ein völlig verrückter Gedanke. Aber warum behielt ihn die Polizei so lange da?
Nach einer Nacht wirrer Träume ging ich im Morgengrauen in Christos Zimmer hinüber und setzte mich an sein Bett. Durch die Vorhänge fiel gedämpftes Licht. Ein weiterer glühend heißer Tag stand uns bevor.
Christo hatte seine Bettdecke abgeworfen und das Schlafanzugoberteil aufgeknöpft. Mit einer Hand umklammerte er den Plüschdelfin, den Lena ihm im Zoo gekauft hatte. Sein Mund war leicht geöffnet, und hin und wieder murmelte er ein paar unverständliche Worte.
Heute, nahm ich mir vor, würde ich alles in die Wege leiten, um ihn mit Lena zu meinen Eltern zu schicken. Das hätte ich schon längst tun sollen. Dieses Haus war kein Ort mehr für ein Kind.
Die Polizei erschien ziemlich früh. Drei Beamte fielen wie ein Sondereinsatzkommando in Clives Büro ein. Ich tat so, als wären sie gar nicht da.
Ich stellte mich in die Küche und bereitete Christo und Lena das Frühstück zu. Lena, die fast nie etwas aß, stocherte nur ein bisschen in ihrer gegrillten Tomate herum und versuchte den Rest dann zu einem Haufen zusammenzuschieben, damit es so aussah, als hätte sie einen Teil davon gegessen. Christo verschmierte erst den Dotter
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