Der Sommermörder
mit leiser Stimme, obwohl niemand da war, der uns hätte belauschen können.
»Einzelheiten darf ich Ihnen nicht verraten«, sagte er,
»aber auf Grund der besonderen Umstände hielt ich es für angebracht, Sie vorzubereiten. Wie es scheint, hatte Ihr Mann eine Affäre mit ihr. Wir gehen davon aus, dass er ihr Ihr Medaillon geschenkt hat. Wir haben bei seinen Sachen ein Foto von ihr gefunden.«
Ich erinnerte mich an das Foto, das ich letzte Nacht gesehen hatte: die junge Frau mit dem fröhlichen, lachenden Gesicht, in der Hand ein Glas, um damit auf eine Zukunft zu trinken, die sie nicht haben würde. Ich schluckte. Eine Welle der Übelkeit stieg in mir hoch.
»Deswegen muss er sie noch lange nicht umgebracht haben.«
»Miss Haratounian hat auch solche Briefe bekommen wie Sie. Geschrieben von derselben Person. Wir gehen davon aus, dass Ihr Mann sie bedroht und dann umgebracht hat.«
Ich starrte ihn an. Ein Puzzle begann sich zusammenzufügen, aber was dabei herauskam, ergab keinen Sinn, es war bloß ein Durcheinander aus schrecklichen Bildern. Ein böser Traum.
»Wollen Sie damit sagen, dass Clive mir diese Briefe geschrieben hat?«
»Alles, was wir im Moment mit Sicherheit sagen können, ist, dass Ihr Mann des Mordes an Miss Haratounian angeklagt worden ist.«
»Sagen Sie mir Ihre persönliche Meinung.«
»Mrs. Hintlesham …«
»Sie müssen es mir sagen. Es ergibt keinerlei Sinn.«
Links schwieg einen Moment, sichtlich hin und her gerissen.
»Das alles ist für Sie sehr schmerzlich«, sagte er schließlich. »Ich wünschte, wir könnten Ihnen das ersparen. Möglicherweise wollte er sich dieser Frau entledigen, aus welchem Grund auch immer. Nachdem er das getan hatte, nutzte er offenbar die Tatsache, dass niemand von seiner Bekanntschaft mit ihr wusste. Aus diesem Grund … nun ja, wenn Sie von derselben Person bedroht würden, die diesen Mord begangen hatte, dann würde man ihn nicht verdächtigen.« Er schwieg einen Moment. »Zumindest stellt sich die Sache für mich so dar«, fügte er dann verlegen hinzu. »Tut mir Leid.«
»Kann es wirklich sein, dass er mich so sehr hasst?«
Links gab keine Antwort.
»Hat er es zugegeben?«
»Bis jetzt leugnet er sogar, Miss Haratounian überhaupt zu kennen«, antwortete Links trocken. »Was ziemlich dreist ist.«
»Ich möchte ihn sehen.«
»Das ist Ihr gutes Recht. Sind Sie sicher?«
»Ich möchte ihn sehen.«
»Du glaubst das doch nicht, oder, Jenny? Jens! Du kannst dieser lächerlichen Anschuldigung doch unmöglich Glauben schenken!« In seiner Stimme mischten sich Wut und Angst. Sein Gesicht war rot und ungewaschen, seine Sachen fleckig. Ich starrte ihn an. Meinen Mann.
Hängebacken, ein dicker Hals, leicht blutunterlaufene Augen.
»Jens!«, sagte er noch einmal.
»Warum sollte ich es nicht glauben?«
»Jens, ich bin’s, Clive, dein Mann! Ich weiß, dass in letzter Zeit alles ein bisschen hektisch war, aber ich bin trotzdem noch der alte Clive.«
»Hektisch«, wiederholte ich. »Hektisch.«
»Wir sind seit fünfzehn Jahren verheiratet, Jens. Du kennst mich. Sag ihnen, wie absurd das alles ist! Ich war an dem Tag mit dir zusammen. Das weißt du ganz genau, Jens!«
Eine Fliege ließ sich auf seiner Wange nieder. Er schlug sie mit einer heftigen Handbewegung weg.
»Erzähl mir von Gloria«, sagte ich. »Ist es wahr?«
Er wurde rot und wollte etwas sagen, hielt dann aber inne.
Ich betrachtete ihn, die Haare in den Nasenlöchern, den Schmutzrand am Hemdkragen, die trockene Haut an den Ohren, die Schuppen im Haar. Clive sah nur gut aus, wenn er sich sorgfältig pflegte. Im Gegensatz zu Stadler gehörte er nicht zu den Menschen, die nach einer durchwachten Nacht fast noch besser aussahen als sonst – die die ganze Nacht aufbleiben konnten und trotzdem noch sexy wirkten.
»Ich glaube nicht, dass es zwischen uns noch etwas zu besprechen gibt. Oder bist du da anderer Meinung?«
»Ja«, sagte er. »Allerdings.«
»Leb wohl.«
»Du wirst schon sehen!«, rief er. »Du wirst schon sehen, und dann wird es dir Leid tun! Du machst den größten Fehler deines dummen kleinen Lebens!« Seine Faust krachte auf den Tisch. Der mondgesichtige Beamte an der Tür erhob sich. »Das wirst du mir büßen, verlass dich drauf!«
In dem Polizeiwagen vor meinem Haus saß jetzt nur noch ein einzelner Beamter, und der hatte sich hinter einer Zeitung verschanzt und schien halb zu schlafen. Clives Büro sah aus, als hätte dort ein Einbrecher gewütet. Das Haus war
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