Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
Vom Netzwerk:
sein, dachte Viola. Also ich würde mir das nicht gefallen lassen. Und was ist mit Saxon? Ich dachte, sie wäre so verrückt nach ihm. Manche Menschen haben wirklich keine tiefen Gefühle. Was für ein Glück für sie.
    Langsam stieg sie die majestätische Vortreppe zum White Rock Hotel hinauf, einem der besten und teuersten Hotels von Stanton.
    »’n Abend, Mrs Wither. Die übliche Ertüchtigung absolviert, was?«
    Das war Mr Brodhurst. Er war der Einzige im Hotel, der gelegentlich mit ihr redete. Ein komischer Kerl: Er nannte ihre Spaziergänge immer »Ertüchtigung« und tat so, als ob sie für einen wichtigen Wettlauf im Herbst trainiere. Viola ging gutmütig auf ihn ein, und sie machten Witze darüber. Viola hatte allerdings den Eindruck, dass Mrs Brodhurst sie nicht sonderlich mochte.
    »Ja.« Sie blieb einen Moment stehen, um ihm zuzulächeln und ihre täglichen Scherze auszutauschen. Die kleinen, weißbeschuhten Füßchen ein wenig auseinandergestellt stand sie auf der obersten Stufe der Eingangstreppe, die Hände in ihrem robusten weißen Staubmantel vergraben, während der Wind an ihren kurzen blonden Locken zerrte.
    »Neuer Rekord, hoffe ich?«
    »O ja! Zwanzig Sekunden hin und zurück – bloß um zu sehen, wie weit es ist!«
    »So ist’s recht, das ist der richtige Kampfgeist! Na, warten Sie, die fegen Sie weg, wenn der Herbst kommt. Denen zeigen wir’s!«
    »Felix«, kam eine leise, geheimnisvolle und näselnde Stimme aus dem Palmengarten.
    »Ja, Liebes?« Mr Brodhurst hoppelte in den Palmengarten, wo er vom DAILY TELEGRAPH verschlungen wurde. Viola bekam ihn vorerst nicht mehr zu Gesicht.
    Sie stieg die beeindruckende Empfangstreppe hinauf, die sich in weitem Schwung nach oben zog. Die Stufen waren mit einem dunkelroten, geruchlosen Gummibelag bedeckt, sodass man beinahe geräuschlos hinaufsteigen konnte. Auf den Fenstersimsen drängten sich lauter Kakteen in kleinen und mittelgroßen Töpfen. Im White Rock war man gerne auf der Höhe der Zeit, und wenn die Mode diktierte, dass Kakteen angesagt waren und Farne nicht, dann pflasterte man im White Rock die Simse eben mit Kakteen zu. Es war ein luxuriöser, heiterer, eleganter Ort. Viola war froh, dass sie sich von ihren dreißig Pfund ein paar schöne Kleider hatte kaufen können.
    Diese dreißig Pfund hatte sie von Geoff Davis, Shirleys Mann, noch kurz vor der Abreise zugesandt bekommen, mit der Erklärung, er habe es geschafft, Teddys Aktien zu verkaufen, allerdings nur unter großen Verlusten. Viola hatte ihm die Aktien nach Teddys Tod in Obhut gegeben, Aktien, die Teddy eigentlich noch für Viola gekauft hatte, weshalb der Verkaufserlös jetzt natürlich auch ihr zustand. Sie hatte vergessen, die Aktien zu erwähnen, als Mr Wither sie nach ihrem Vermögen gefragt hatte. Und nun, so dachte sie, brauchte sie das mit den dreißig Pfund auch nicht mehr zu erwähnen.
    Wie schön es war, so viel Geld zu haben. Sie hatte sich damit ein paar wirklich fabelhafte Kleider gekauft, und das hatte sie eine Zeitlang ein wenig aufgemuntert. Ihrem Geschmack entsprechend, natürlich, der allerdings zu wünschen übrig ließ. Das hellblaue Ballkleid war eine positive Ausnahme gewesen.
    Sie betrat ihr Zimmer. Da war es wieder, das Meer, kaum mehr zu sehen, hinter den funkelnden Lichterketten der Promenade. Ein Zimmermädchen zog gerade die Vorhänge zu und sperrte den Frühherbstabend aus.
    Dies war Violas liebste Zeit. Als das Zimmermädchen gegangen war, machte sie die Tür fest zu und schlüpfte aus ihrem Staubmantel, den sie gewissenhaft in den Schrank hängte. Dann begann sie sich feierlich auf das Dinner vorzubereiten, wie ein Kind, das sein Lieblingsspiel spielt.
    Sie legte das Kleid, die Strümpfe und die Schuhe bereit und tat ein wenig feinen Haferschrot ins Waschbecken. Damit wusch sie sich das Gesicht und cremte es hinterher sorgfältig ein, wobei sie nicht vergaß, die Creme um die Augen herum mit kleinen Trommelbewegungen der Fingerspitzen einzumassieren. Dann bürstete sie sich das Haar und wechselte die Strümpfe.
    Diese halbe Stunde vor dem Dinner war die einzige Zeit des langen Tages, in der sie Victor beinahe vollständig vergaß. Sie liebte all die kleinen, vertrauten Schönheitsrituale. Meist breitete sich dann eine tiefe Ruhe in ihr aus und verdrängte für eine Weile ihren Kummer. Was sie außerdem tröstete, war die vage Hoffnung, dass vielleicht heute etwas Schönes, Aufregendes passieren würde, und deshalb bereitete sie sich mit so viel

Weitere Kostenlose Bücher