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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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Sorgfalt auf den Abend vor. Natürlich passierte nie etwas, aber trotzdem: Sie genoss dieses vage Gefühl, dass etwas passieren könnte . Daher war sie gar nicht erfreut, als es plötzlich kurz und heftig an ihrer Tür klopfte und Tina hereingeplatzt kam. Mit Violas Ruhe war’s vorbei. Tina wirkte verträumt und gleichzeitig erregt. Sie war noch in Mantel und Hut, und Viola vermutete, dass sie soeben von Elenor zurückkehrte.
    »Vi«, begann Tina und ließ sich aufs Bett plumpsen. Violas Kleid schob sie zerstreut beiseite. »Hast du kurz Zeit?«
    »Ja, was gibt’s?« Viola nahm das Kleid und breitete es betont sorgfältig auf der anderen Bettseite aus.
    Sie war nie lange auf jemanden böse, das ließ ihre beklagenswert oberflächliche Natur gar nicht zu. Sie musste sich gar nicht zwingen, jemandem zu verzeihen, das geschah ganz von selbst, ohne dass sie es merkte.
    »Och, nichts … es ist nur, Adrian geht es sehr schlecht, und Elenor hat mich gefragt, ob ich nicht das ganze Wochenende bleiben könnte.«
    Sie brach ab, starrte verlegen aufs Bett und spielte mit einem Zipfel der Tagesdecke.
    »Du siehst richtig gut aus«, bemerkte Viola zusammenhanglos. Sie war mit nassem Gesicht aus der Haferbreilösung aufgetaucht und warf ihrer Schwägerin im Spiegel einen Blick zu. »Steht dir gut, diese Frisur.«
    »Ja, wirklich? Ganz ehrlich?« Tina trat hinter Viola und betrachtete sich im Spiegel. »Ja, ich sehe wirklich besser aus«, murmelte sie, »nicht mehr so mager.«
    Seufzend wandte sie sich ab.
    »Geht’s ihm denn so schlecht?«, erkundigte sich Viola, ihre weiche Stimme gedämpft wie auf einer Beerdigung.
    Tina starrte ihre Schwägerin verständnislos an. »Wem? Ach, du meinst Adrian. Ja – ja, ziemlich schlecht. Arme Elenor.«
    »Das tut mir leid. Muss schrecklich für sie sein.«
    »Ja, das ist es. Schrecklich – vor allem, wenn es jemand ist, den man noch gekannt hat, als er gesund und fit war.«
    »Sieht er gut aus?«, erkundigte sich Viola gefühlvoll.
    »Adrian? Ach, nein – er ist fürchterlich dünn, abgemagert. Sieht krank aus. Aber früher schon, ja.«
    Tina fingerte nervös an Violas schäbiger Bürste und ihrem Kamm herum, die sie vom Frisiertischchen genommen hatte. »Ja, also, das wollte ich dir bloß sagen. Am Montag komme ich wieder, zum Lunch bin ich da.«
    »Ach was! Du willst doch nicht etwa gleich gehen?«
    »Doch. Wieso nicht?«
    »Na ja, es ist bloß komisch, oder? So kurz vor dem Dinner?«
    »Na und? Elenor hat mich vor einer Viertelstunde angerufen, und ich hab versprochen, dass ich sofort komme.«
    »Aber du bist doch gerade erst dort gewesen, oder?«
    »Ja.« Tina war schon in der Tür.
    »Wie ging’s ihm denn?«
    »Was? Gut, nein, ich meine, sehr schlecht. Ich dachte mir schon, dass ich vielleicht noch mal hinmuss. Vi, ich muss jetzt wirklich los, sonst verpasse ich noch den Bus.«
    »O Gott, nein, das wäre wirklich blöd. Dann lauf … ach, Momentchen, wie kann ich dich denn erreichen, falls was ist?«
    »Schreib ans Postamt in Rackwater, postlagernd, das kriege ich dann schon. Elenor will nicht, dass Adrian von der Post gestört wird, und ein Telefon haben sie nicht.
    »Was ist das, ›postlagernd‹?«
    »Ach, Vi ! Warte … Hast du was zum Schreiben?«
    Nach kurzer, hektischer Suche fand Viola einen Bleistift. Tina kritzelte die Adresse des Postamts von Rackwater auf die Rückseite einer Strumpfquittung.
    Viola musterte sie ernst. Sie wusste sehr wohl, was Tina im Schilde führte: Elenor war aus dem Haus, jemanden besuchen oder so etwas, und nun wollte sie das Wochenende mit Adrian Lacey verbringen. Was für eine Dummheit.
    »Hör mal, Tina, es geht mich zwar nichts an, sag’s mir ruhig, wenn du nichts hören willst – aber soll ich dir vielleicht, na ja, ein paar Tipps geben?«, fragte Viola.
    Tina ebenso. »Lieber Himmel, nein!« Sie überraschte ihre Schwägerin damit, dass sie sie kurz umarmte und ihr einen Kuss gab. »Spinnst du? Pass gut auf dich auf. Ach, Viola!« Sie stand schon im Korridor, drehte sich aber noch einmal um. Hinter ihr war ein Fenster, durch das man die schwarze, gewellte Fläche des Meeres erkennen konnte. »Ich bin so glücklich, so unerträglich glücklich«, flüsterte sie überraschend, dann rannte sie davon, einen kleinen Koffer aufnehmend, den sie draußen stehen gelassen hatte.
    Na, sauber, dachte Viola. Also wirklich. Sie machte ihre Zimmertüre wieder zu. Diese Tina. Also wirklich. Sie hätte sich mir anvertrauen sollen, schließlich bin ich

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