Der Sommernachtsball
legte seine Mütze auf den Sitz, lehnte sich zurück und holte ein billiges Zigarettenetui hervor. Mit halb geschlossenen Lidern, den Rauch ausblasend, starrte er durch die Windschutzscheibe. Es war schon ein Schock zu hören, dass sie nur siebzig Pfund hatte. Er war einerseits enttäuscht, andererseits schwor er sich, dass er nie einen Penny von ihrem Geld annehmen würde, weil das für einen Mann nicht infrage kommt.
»Was ich meine … willst du dich weiter mit mir treffen?«
Er lachte sie an, nickte.
»Na gut … küssen, wenn du so willst. Denn dann müssen wir uns einen anderen Ort suchen, wo wir ungestört sind, und ich muss mit diesen Fahrstunden aufhören, das ist mir zu unsicher, solange dieser Alte hier herumläuft.«
»Na gut. Ich werd’ mir was einfallen lassen.« Er richtete sich auf und setzte seine Kappe auf. »Wird Zeit, dass wir umkehren.«
Versuchsweise fügte er »Liebling« hinzu, dann noch einmal, schon etwas zuversichtlicher: »Liebling. Klingt irgendwie komisch, oder?«
»Nein, ich find’s süß«, antwortete sie zerstreut und lehnte sich ebenfalls zurück, während er losfuhr. Sie dachte, dass ihr Verhältnis heute zwar einen Riesensprung nach vorne gemacht hatte, dass aber dennoch nichts wirklich entschieden war, alles hing in der Schwebe. Sie hatten keine konkreten Pläne gemacht. Aber jetzt würden sie nur dann wirklich glücklich sein, wenn sie sich küssen konnten.
Was Frau Doktor Hartmüller wohl raten würde? Sie wusste genau – zu genau –, was Frau Doktor Hartmüller raten würde, doch davor schreckte sie zurück. Nein, nein, das kam gar nicht infrage. Alles in ihr wehrte sich dagegen: ihre Erziehung, ihre Bildung, ihre Prinzipien, ihre Tugendhaftigkeit, ihre Vernunft. Nein, Frau Doktor Hartmüllers Lösung war nicht die ihre.
Sie vergaß, dass neben ihr ein junger Mann saß, beeindruckt von den Umarmungen des Tages, unerfahren, feinfühliger als die meisten jungen Leute seiner Klasse, der sich mächtig zu ihr hingezogen fühlte.
Als sie sich The Eagles näherten, sagte Saxon leise:
»Wann fahrt ihr?«
Sie schaute ihn überrascht an. »Ach! Das hatte ich ja ganz vergessen. Ich weiß nicht, bald, glaube ich. Hängt davon ab, was Doktor Parsham zu Vater sagt. Ein ganzer Monat! Du wirst doch auch nicht hierbleiben, oder? Nicht die ganze Zeit? Letztes Jahr warst du doch auch zwei Wochen in Bracing Bay, oder?«
Er nickte, bog in die Einfahrt.
»Ich hab nicht genug Geld, um lang Urlaub zu machen«, sagte er, den Blick geradeaus gerichtet, »aber ich hab gedacht – ich meine, schade, dass du diesmal nicht allein irgendwohin fahren kannst. Ohne die anderen. Dann … dann könnte ich vielleicht auch kommen.«
»Saxon.« Sie starrte ihn mit wild klopfendem Herzen an.
»Ja.«
Der Wagen hielt an.
»Dann könnten wir zusammen einen netten kleinen Urlaub verbringen«, meinte er. »Liebling«, fügte er noch hinzu.
»Meinst du … im selben Hotel?«
»Ich meine im selben …«
Das letzte Wort flüsterte er, dann lächelte er sie auf eine Weise an, wie vielleicht vor vierhundert Jahren ein junger Knecht eine Maid angelächelt hätte, unter einem Baum sitzend, im Wildpark von Windsor, als die Welt noch grüner und stiller war, in den Anfängen von Englands ungeschriebener Liebesgeschichte.
»Magst du nicht?«
»Doch, sehr sogar.« Sie nickte ehrlich, wenn auch wie betäubt. Erstaunlich, wie schnell Erziehung, Bildung, Tugendhaftigkeit und Verstand sich mit einer so schockierenden Idee anfreunden können.
»Ich auch.« Er beugte sich über sie und stieß die Wagentüre für sie auf. Dabei brach er unversehens in sein wunderschönes Pfeifen aus. »Das wär’ also abgemacht«, sagte er dann.
Er hatte die Situation in die Hand genommen, jetzt war die Welt, seine Welt, wieder in Ordnung, er ruhte in sich, voller Selbstvertrauen und Glück. Seine gute Laune übertrug sich auch auf Tina. Lachend sprang sie die Hintertreppe hinauf, das Gesicht der Sonne zugewandt.
Weder er noch sie dachte an mehr als ein Wochenendvergnügen.
18. KAPITEL
In Stanton, jenem exklusiven Badeort an der Küste von Essex, ist man derart perfekt darauf vorbereitet, seiner gut betuchten Klientel alle Urlaubsfreuden zu bereiten, dass man auf den gepflegten Plätzenund unter den fröhlichen kleinen Pavillons Schwermut erst gar nicht aufkommen lässt, nicht einmal zur Dämmerstunde, in der jeder Ort, der am Meer liegt, grau und trostlos wirkt. Die roten, grünen und gelben Lichterketten auf der Promenade
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