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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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einer ein Genie wäre (so wie vermutlich dieser Asche aus Eisen -Typ), dann würde das keiner Seele auffallen (nein, ich irre, keinem Menschen; eine Seele hat ja hier keiner). Nie von Greuze gehört, von Donat Mulqueen und Asche aus Eisen ! Ich selbst könnte Donat Mulqueen sein, wenn es nach dem ginge, was die wissen.
    Sie verschwand in ihrer Suite und schloss die Tür hinter sich.
    Sie hatte zwei Zimmer, ein kleines Wohnzimmer und ein Schlafzimmer, mochte ihr Schlafzimmer aber lieber, weil sie von dort aus den Fluss sehen konnte. Den Nutzgarten mit den Obstbäumen konnte man natürlich nicht sehen und erst recht nicht das verwilderte Stück mit den Komposthaufen, aber der Fluss – der Fluss besaß Poesie. Mehr als die schattenlosen Rasenflächen und die gefälligen bunten Blumenbeete.
    Ihr Zimmer war groß, hell und angenehm, die Möbel von zwar konventionellem, aber unaufdringlichem Charme. Hinzu kamen Hettys eigene Beiträge: Mit ihrem seltsamen Geschmack, aber sicherem Gespür hatte sie sich das Außergewöhnliche in ihre eigenen vier Wände geholt: van Goghs WEIZENFELD MIT ZYPRESSEN , ein paar Eingeborenenporträts von Gauguin, Watts’ MINOTAURUS . Auf der blassrosa Tapete, die nach Mrs Springs Ansicht für das Zimmer einer Jungfrau passte, wirkten sie zwar seltsam, aber dennoch anziehend.
    An allen vier Wänden standen Bücherregale. Es waren schöne, gediegene Regale, aber alle gebraucht gekauft; Hetty hatte sie sich nach und nach in Chesterbourne zusammengesammelt. Es gefiel ihr, dass diese Regale Charakter und Geschichte hatten, nicht nur die Bücher, die darin standen. Natürlich wäre es einfacher gewesen, sich die passenden Regale anfertigen zu lassen oder vorgefertigte Regale zu kaufen, die mit der Privatbibliothek mitwuchsen, aber sie war trotz Victors Belustigung und der Irritation ihrer Tante standhaft geblieben und hatte nun genau die Regale, die sie wollte.
    Sie ließ ihr dickes, schlaffes Haar herunter und begann es vor dem Spiegel auszukämmen. Niedergeschlagen starrte sie zum mittlerweile sonnenüberfluteten Rasen hinunter. Die Welt war so schön! So voller Romantik, Aufregung, Horror, Ironie! Überall, nur nicht auf Grassmere in Sible Pelden, Essex, konnte man auf Wahrheiten stoßen, die noch seltsamer waren als das, was man in Büchern las, und weitaus befriedigender. Es gab so viel, für das es sich zu leben, sich einzusetzen lohnte, es gab Philosophien zu entdecken, Religionen zu erforschen und zu verwerfen und vor allem ein grenzenloses Meer, einen unendlichen Äther voller Gedanken und Meinungen, die man mitzuteilen hatte, irgendwem, egal, vorzugsweise einem jungen Menschen, der vielleicht ein wenig mehr wusste als man selbst, aber einen ebenso wissbegierigen Geist besaß. Menschen, die man erziehen könnte, Unrecht, das bekämpft werden sollte, Politik, Wirtschaft, Geschichte …
    Ich weiß genau, wie Florence Nightingale sich gefühlt haben muss.
    Warum darf ich nicht aufs College gehen und dann versuchen, eine Stellung zu finden?
    Was nützt einem ein Mädchenpensionat voll eitler Gören mit Unterwäsche aus Crêpe de Chine, die noch nie von Donat Mulqueen gehört haben?
    Swisch!, fuhr die Bürste durch das dicke Haar. Na wartet, bis ich erst einundzwanzig bin! Nur noch ein Jahr.
    Ein heftiges Klopfen ertönte. Ehe Hetty etwas sagen konnte, ging die Tür auf, und herein kam Miss Barlow.
    »Was willst du?«, fauchte Hetty. Sie schlüpfte in einen Morgenmantel, denn sie besaß noch die kindliche Scham der Heranwachsenden. Außerdem gefiel ihr der Blick nicht, mit dem Phyllis ihre biedere Schulmädchen-Unterwäsche gemustert hatte.
    »Wollte nur mal sehen, ob du was Neues und Interessantes zum Lesen hast«, sagte Miss Barlow leichthin, »wir haben uns ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Wie geht’s dir so?« Summend schlenderte sie im Zimmer umher. »Schon verlobt?«
    »Fahr zur Hölle.« Hetty kämmte sich grimmig weiter.
    »Du willst doch nicht etwa behaupten, dass du die alle gelesen hast?«
    Keine Antwort.
    »Jetzt komm schon, Hetty, mir kannst du nichts vormachen, ich kenne dich, seit du zwölf warst. Du liest das doch nicht wirklich. Das verstehst du doch gar nicht. Mensch, da sind Bücher darunter, die nicht mal Victor verstehen würde.«
    »Ganz recht.«
    »Das ist doch bloß Affektiertheit. Eine Pose.«
    Hetty kämmte ihre Haare mit zunehmendem Grimm. Ihre Kopfhaut kribbelte schon.
    »Gedichte …« Phyllis riss rücksichtslos ein Buch aus dem Regal und schlug es auf. Ihr

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