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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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Hunnen?«
    Der Gong unterbrach die Debatte. Die beiden gingen nach unten, jede ein wenig verstimmt über die andere.
    Wenn Mr Wither auf jemanden zornig war, ging er nur selten direkt zum Angriff über. Er eröffnete das Feuer auf ein anderes Objekt, das mit dem eigentlichen nichts zu tun hatte. Erst nach einigen Windungen kam er zum Thema und fiel dann hinterrücks über sein Opfer her, das die Gefahr bereits vorüber glaubte.
    An diesem Abend, an dem die gediegenen Möbel in dem stillen Raum in samtigem Glanz schimmerten und sich die Chilefichte vor der rosigen Abenddämmerung abzeichnete, brach Mr Wither folgendermaßen die lastende Stille:
    »Ich musste schon wieder an Jameson schreiben, wegen dieses unmöglichen Kerls.«
    Mr Jameson, ein alter Bekannter der Withers, war der Bürgermeister von Chesterbourne.
    Mr Wither hatte seinen Kopf mit den zwei breiten Strähnen dünnen Haars über einen Teller mit glitschigem Kabeljau in einer weißen, klumpigen Soße gebeugt.
    »Der Einsiedler, mein Lieber?« Mrs Wither war mit den Sorgen ihres Mannes wohl vertraut.
    »Einsiedler!«, schnaubte Mr Wither, »was für ein Schwindel!« Er riss ein winziges Stück von seinem Brötchen ab. »Wenn der ein Einsiedler ist, dann bin ich auch einer! Der verbringt doch die meiste Zeit in dieser Kneipe an der Wegscheide, wie heißt sie noch … The Lion. The Green Lion. Hab ihn heute Vormittag selbst dort gesehen, zusammen mit ein paar von seinen sauberen Kumpanen. Er hatte die Frechheit« – Mr Wither nahm ein Schlückchen Tonic Water –, »die Frechheit, mich wegen meines Spazierstocks anzusprechen.«
    »Oder besser gesagt anzubrüllen«, fügte er grimmig hinzu.
    »Ach! Und was hat er gesagt?« Tina konnte sich nicht beherrschen.
    »Hab ich mir gar nicht erst angehört, bin gegangen«, erwiderte Mr Wither hochmütig, nachdem es ihm gelungen war, die Neugier seiner Zuhörerinnen auf die Spitze zu treiben.
    Schweigen. Mr Wither streckte seinen Teller vor und ließ sich noch eine Portion glitschigen Kabeljau mit klumpiger Soße geben. Tina und Viola hatte er noch keines Blickes gewürdigt. Und obwohl sie seine Spielchen kannten, waren ihre Ängste bereits ein wenig eingelullt worden. Vielleicht hatte dieses Ablenkungsmanöver ja seine Dienste erfüllt …
    »Ja, man fragt sich wirklich, wovon er lebt«, warf Mrs Wither mit einem nervösen Blinzeln ein. Sie wusste sehr wohl, welcher Sturm sich zusammenbraute.
    »Ein Schnorrer ist er!«, dröhnte Mr Wither kauend.
    »Er gräbt manchmal für Colonel Phillips den Garten um«, meldete sich Madge zum ersten Mal zu Wort. Mit geröteten Augenlidern blickte sie auf.
    Ihr Vater beugte sich vor und fragte: »Wieso hast Du denn geheult?«
    Madge wurde knallrot. »Ich? Geheult? Ich heule nie, das weißt du doch! Außerdem, worüber sollte ich schon heulen?«
    »Weiß ich doch nicht. Aber deine Augen sind ganz rot.«
    »Das muss der Wind sein. Ganz schön scharfer Wind heute …«
    »Blödsinn!«, unterbrach Mr Wither. »Alles Ausreden!«
    »Na und wenn ich nun geheult habe?!«, schluchzte Madge plötzlich los; ihr breites Gesicht verzerrte sich wie das eines Kleinkinds. Zwei dicke Tränen quollen aus ihren Augen und rollten über ihre roten Backen. Sie warf ihre Serviette beiseite. »Warum sollte ich nicht auch mal heulen? Ich hab schließlich allen Grund zum Heulen! Du erlaubst ja nicht mal, dass ich mir einen Hund anschaffe«, schluchzte sie.
    Drei entsetzte Gesichter starrten sie an.
    Mr Wither dagegen blieb vollkommen ungerührt, beugte sich nur ein wenig tiefer über seinen Kabeljau.
    »Colonel Phillips hat gerade drei Sealyham-Welpen reinbekommen, die sind echte Klasse. Reinrassig, natürlich. Er will nur zweieinhalb Guineen pro Stück, das ist praktisch geschenkt. Bitte, Vater, ich hätte so gern einen! Bitte. Er kommt nicht ins Haus, das verspreche ich dir, ich würde ihn draußen auf dem Hof halten und nie« – schluchz –, »nie in mein Bett lassen. Bitte, Vater, sag ja!«
    Mr Wither kaute weiter mit unbewegter Miene an seinem nun gründlich verflüssigtem Kabeljaubissen herum.
    »Komm, Vater, sei nicht ungerecht«, warf nun auch Tina unerwartet mit einem hysterischen Giggeln ein, was Mrs Wither und Viola dazu bewog, ihre schreckensstarren Augen auf Tinas zuckendes Gesicht zu richten.
    »Madge ist fast vierzig, glaubst du nicht, dass sie mit einem Hund fertigwird? Ich bin froh, dass sie das Eis gebrochen hat, denn«, in einem schrillen, brüchigen Ton, der unangenehm im großen,

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