Der Sommernachtsball
typischen fröhlichen Lächeln zu Hetty um und sagte:
»Vielen herzlichen Dank auch, dass Sie uns mitgenommen haben!«
»Ach, nicht der Rede wert«, antwortete Victor, der davon ausging, dass sie mit ihm redete, was sie sich, erstarrt vor Ehrfurcht, nie getraut hätte. »Ich hoffe, Sie beide erkälten sich nicht.« Er lüftete höflich den Hut. Mit dieser Bemerkung räumte er immerhin ein, dass er die Anwesenheit von zwei Damen durchaus zur Kenntnis genommen hatte, auch wenn er sich während der Fahrt kein einziges Mal zu ihnen umgedreht oder auch nur ein Wort mit ihnen gewechselt hatte.
Viola rannte bibbernd ins Haus, in Gedanken noch ganz bei dieser hinreißend maskulinen Erscheinung. So breite Schultern, so braungebrannt, ein so männliches, fast soldatisches Profil, dieser elegante kleine Schnurrbart, die leuchtend braunen Augen! Dieser flinke, arrogante, alles umfassende Blick unter kurzen, dichten Wimpern.
Er ist der attraktivste Mann, den ich je gesehen habe, dachte sie, während sie sich im großen, kalten Schlafzimmer aus ihren tropfnassen Kleidern schälte. An wen erinnert er mich noch? (Meine Güte, wie spät es schon ist, hoffentlich wird’s nicht zu schlimm, ach, wie ich es hasse, hier leben zu müssen.)
Das Kleid zuknöpfend rannte sie die Treppe hinunter. Aus dem Wohnzimmer drangen tiefe, getragene Grabesstimmen. Als sie nach der Türklinke fasste, fiel ihr plötzlich ein, an wen er sie erinnerte: an den jungen Mann auf den Werbeplakaten für Lama-Pyjamas, ja genau!
Zufrieden trat sie ein.
6. KAPITEL
Der Wagen sauste erleichtertwieder von The Eagles weg. »Wozu hast du das denn getan, Het?«, erkundigte sich Victor interessiert. »Du bist vielleicht komisch.«
»Na, weil die Armen doch nass wurden, nicht wahr?«
Wenn Hetty mit sozial Gleichgestellten redete, achtete sie genau auf ihre Aussprache. Ihr gefiel die Pedanterie daran und vor allem der Kontrast zwischen ihrer Ausdrucksweise und der, die die Bekannten der Springs pflegten, vor allem natürlich Miss Barlow. Wenn Hetty sich dagegen mit Heyrick oder mit der kleinen Waliserin unterhielt, redete sie ganz normal; sie wollte nicht, dass sie, wenn schon für seltsam, auch noch für eingebildet gehalten wurde.
»Wir werden uns schon nicht zum Tee verspäten«, meinte sie gelassen.
Ihr Cousin sagte nichts weiter, sondern trat aufs Gas. Sie hatte ihn gebeten anzuhalten, als sie die beiden, wie hießen sie noch gleich, unter den Bäumen hatte stehen sehen, und er hatte ihr den Gefallen getan, teilweise aus Neugier, teilweise aus einem weniger gutmütigen Grund.
Er wollte einfach sehen, was seine kleine Schwärmerin jetzt schon wieder tat. Alle Leute, die er kannte, verhielten sich nicht anders als er. Für ihn war es selbstverständlich, dass sich ein normaler, vernünftiger Mensch so verhielt. Hetty dagegen benahm sich oft seltsam, und es war interessant, ihr zuzusehen, fast als habe man unter all den Rassehunden eine unberechenbare Promenadenmischung. Manchmal gingen ihm ihre Eigenheiten zwar auf die Nerven, meistens jedoch amüsierte er sich darüber (wie ernst sie sich selbst immer nahm!), denn er mochte seine Cousine, er mochte sie aufrichtig. Sie waren schließlich zusammen aufgewachsen, für ihn war sie wie eine Schwester.
Miss Barlow schwieg ebenfalls. Sie war verstimmt. Sie wusste ganz genau, warum Victor angehalten hatte: er hatte angehalten, weil sie ungeduldig ausgerufen hatte: »Jetzt fahr schon weiter, Victor, hab ich nicht schon genug gewartet?« Er wollte ihr zeigen, dass ihre Wünsche, ihre Ungeduld keine Macht über ihn hatten und dass es ihm nicht leidtat, dass sie am Bahnhof dreieinhalb Minuten lang hatte warten müssen.
Wie sich herausstellte, hatte er noch kurz in der Stadt angehalten, weil Hetty ein Buch bestellt hatte, das sie im Buchladen abholen wollte. Victor hatte zwar gesagt, sie dürfe sich höchstens zehn Minuten dort aufhalten, aber Hetty war zwölf Minuten geblieben, und deshalb hatten sie sich verspätet.
Zweimal innerhalb von einer halben Stunde hatte Hetty Miss Barlows Pläne durchkreuzt und sie davon abgehalten, so schnell wie möglich von einem Vergnügen zum nächsten überzugehen. Miss Barlow betrachtete das Leben als eine Kette von Vergnügungen. Während man dem einen nachging, dachte man bereits an das nächste und was man dazu anziehen würde.
Sie ist ein richtiges kleines Biest, dachte Phyllis und starrte grimmig auf den unordentlichen Haarknoten, der unter dem Hut der Jüngeren hervorlugte.
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