Der Sommernachtsball
eigensinnig.
Dennoch musterte er sie mit einer Mischung aus Zuneigung und Besitzerstolz.
Sie war keine Schönheit, das nicht, aber sie hatte so viel, das für sie sprach, dass neun von zehn Männern sie einer schönen Frau vorziehen würden. Sie hatte eine fabelhafte Figur, einen schönen Kopf mit einer modernen Frisur, einem Bubischnitt, dessen Maskulinität durch ein paar feminine Löckchen über der Stirn gemildert wurde. Ihre zarte Nase und der fein gezeichnete Mund würden die Zeit gut überdauern, ebenso ihre feine, klare Haut, der sie viel Pflege widmete. Ihre eher scharfen Gesichtszüge kontrastierten mit ihren Augen, die bei einem Gesicht wie diesem eher länglich hätten sein sollen, aber rund waren wie Knöpfe. All ihre Freude am Tanzen, an Golf und Tennis, an guter Kleidung und an schnellen Autos funkelten in diesen dunkelbraunen, fast schwarzen Knopfaugen.
Sie war elegant, sie war ein guter Sportskamerad, und sie würde einen nie im Stich lassen.
Was Kleidung bei Frauen doch für einen Unterschied macht, überlegte Victor (er stieß gelegentlich auf Erkenntnisse dieser Art). Hetty dagegen (er sah die füllige Gestalt seiner Cousine gerade noch durch die Tür verschwinden), eine Schande, dass die kleine Schwärmerin sich so gar nicht zu kleiden weiß.
Was die beiden Withers betraf, so verschwendete er überhaupt keinen Gedanken an sie.
7. KAPITEL
Nachdem Mr Wither Mr Spurrey zum Wagen gebrachtund verabschiedet hatte, zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück und ward bis zum Dinner nicht mehr gesehen.
Dieser taktische Rückzug, fast wie ein Medizinmann, der sich auf ein Ritual vorbereitet, hatte den Zweck, das Weibsvolk zu verstören, und das tat er auch, und zwar so gründlich, dass alle außer Mr Wither leicht hysterisch waren, als sie sich schließlich zum Abendbrot versammelten.
Selbst Madge wirkte kleinlaut. Es war Tradition bei den Withers, dass Madge nie heulte ; wäre das nicht Tradition gewesen, hätten Mutter und Schwester geschworen, dass sie geweint hatte. Sie hatte den Nachmittag im Club verbracht, war jedoch in recht trüber Stimmung zurückgekehrt, hatte den Rest des Tages stumm in einer Wohnzimmerecke gehockt und in einen Artikel über das Militärleben in Indien gestarrt, den sie in der ILLUSTRATED FORTNIGHTLY gefunden hatte.
Viola und Tina hatten sich, bevor sie zum Dinner hinuntergingen, gegenseitig zu ermutigen versucht. Es sei lächerlich sich zu fürchten, bloß weil einen Ärger wegen Zuspätkommens erwartete. Empört meinten sie, sie seien schließlich einundzwanzig und fünfunddreißig (das heißt, Viola meinte, sie sei einundzwanzig, Tina meinte, sie sei kein Schulmädchen mehr) und überhaupt, das Ganze sei einfach lächerlich.
Tina nahm sich vorsichtshalber noch einmal das Kapitel über Väter und Töchter in ihrem Buch über weibliche Psychologie vor, aber das, was darin stand (nach dem ersten Absatz, in dem vor möglicherweise schockierenden Ausführungen gewarnt wurde), schien nicht so recht auf ihren Fall zu passen. Man wurde vor einer allzu engen Bindung an den Vater gewarnt, vor einem Zuviel an Zuneigung (von beiden Seiten). Da dies in ihrem Fall eine zu vernachlässigende Gefahr darstellte, legte Tina das Buch mit einem kleinen Seufzer wieder beiseite. Violas Blick fiel darauf, und sie nahm es zur Hand.
»Gute Güte«, sagte sie kurz darauf mit einem rosa Gesicht. Und lachend: »Was hast du gefunden?«
»Also wirklich – wer hat denn diesen Unsinn verzapft?« Sie warf einen Blick auf den Buchdeckel. »Doktor Irene Hartmüller. Ach so, eine Deutsche .«
»Wienerin. Noch ganz jung und ziemlich brillant.«
»Also, ich finde, das ist Schrott«, doch Viola blätterte trotzdem weiter. »Wieso … also wirklich! – Gute Güte, was geht nur im Kopf dieser Frau vor? Typisch deutsch.«
»Ach, Viola!«
»Was denn?«
»Du glaubst doch nicht wirklich, dass die Deutschen anders denken als andere oder schlechter sind?«
»Doch, natürlich. Das weiß doch jeder.«
Tina seufzte. Manchmal stieß sie auf eine geradezu verblüffende Beschränktheit bei ihrer Schwägerin, die daran erinnerte, dass diese eine mindere Schulbildung genossen hatte, welche sie auch noch mit sechzehn hatte abbrechen müssen.
»Na, die haben doch den Krieg angefangen!«, sagte Viola trotzig. Gekränkt ließ sie das Buch aufs Bett fallen.
Tina schwieg.
»Diese ganzen Abscheulichkeiten! Die kochen Suppe aus Leichenteilen, das weiß doch jeder! Das steht in Büchern. Warum nennt man sie sonst
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