Der Sommernachtsball
dieser, über die Schulter gewandt; er drehte am Radioapparat herum.
»Aber das ist noch nicht alles«, fuhr Miss Barlow fort und drückte behutsam ihre dunklen Haarwellen zurecht, »er musste auch noch anhalten und ein paar Leute mitnehmen.«
»Ach? Wen denn?«
»Die Withers«, warf Hetty ein und ließ sich in einen Sessel fallen.
»Wen? Ach so, ja, diese Leute von The Eagles.«
»Wir mussten noch mal umdrehen«, fuhr Phyllis in leichtem Ton fort, »und sie bis vor die Haustüre fahren!«
»Wozu das denn?«
»Weil es regnete«, antwortete Hetty gedehnt. »Daher habe ich Victor gebeten anzuhalten. Soweit ich weiß, waren die junge Mrs Wither und ihre Schwägerin spazieren und wurden dabei vom Gewitter überrascht.«
»Die Schwägerin?«, warf Mrs Spring überrascht ein. »Das ist doch die Witwe des Bruders, der vor etwa einem Jahr verstorben ist. Hat in einem Laden gearbeitet.«
»Die Schwägerin?«, wollte Hetty wissen.
»Ja. Irgendein Laden in der Stadt, Thompson und Sowieso. Wie war sie?«
Mrs Spring war jetzt zwar reich und teilte die Interessen der Reichen, aber sie stammte aus einer Kleinstadt in Hampshire und war wie alle Kleinstädter neugierig auf alles und jedes, mochte es noch so unbedeutend sein.
»Wenn sie mehr aus sich machen würde«, antwortete Hetty und starrte nachdenklich auf ihre Schuhe, »könnte sie eine Schönheit sein. Sie ist der ätherische Typ, wie aus einem Gemälde von Greuze, feinporige Haut und seidiges Haar, das bewundern die Männer doch so.«
»Ein Gemälde von wem?«, fragte ihre Tante irritiert. »Ich wünschte, du würdest auch mehr aus dir machen!« Entschlossen stand sie auf. Vor Gästen wollte sie nicht die Kranke spielen, es sei denn, es waren gute Bekannte wie Phyllis Barlow, aber die Randalls konnten jeden Moment wieder hier sein.
Phyllis schwieg. Wenn ein taktloser Mann sie fragte, ob sie nicht auch fand, dass Rosemary oder Diana tolle Puppen seien, stimmte Phyllis gewöhnlich von ganzem Herzen zu – auch wenn sie anderer Meinung war. Andererseits jedoch beging sie nie den Fehler, andere Frauen über den grünen Klee zu loben, denn dieses Spiel durchschauten die Männer gewöhnlich. Sie waren nicht so dumm, wie man gerne glauben mochte. Victor verließ das Zimmer.
»Du bekommst dein altes Zimmer, Phyllis«, sagte Mrs Spring, »wir haben es gerade erst neu machen lassen.«
»O prima!«
»Es ist eine futuristische Tapete, ein richtiger Mischmasch, aber dezent, und auf dem Chintz ist eine Jagdszene«, erklärte Mrs Spring.
»Hört sich wunderbar an. Ich glaube, ich gehe gleich mal rauf und schau es mir an.«
»Es gibt Drinks, wenn du runterkommst. Wir haben ein paar Gäste im Haus. Also, Hetty«, nachdem Phyllis gegangen war, »so solltest du eines Tages aussehen! Phyllis hat einen ausgezeichneten Geschmack, und sie weiß ihre Sachen einfach wundervoll zu tragen.«
»Wieso?«, fragte Hetty.
Mrs Spring starrte sie an.
»Wieso? Was meinst du?«
»Wieso trägt sie sie wundervoll?«
»Woher soll ich das wissen? Es ist einfach so. Sie hat eine Begabung dafür … die dir leider fehlt.«
»Ach so.« Hetty las, nein, verschlang ein schmales Gedichtbändchen, dessen dicke, steife Seiten dicht bedruckt waren: die Zeilen begannen – ohne Großbuchstaben – ganz oben am Rand und reichten bis fast ganz nach unten. Sie hielt sich das Buch dicht vor die Nase, die Stirn konzentriert gerunzelt.
»Hetty! Jetzt leg das doch mal weg, und zieh dich um. Die Randalls können jeden Moment hier sein. Deine Strümpfe sind verrutscht, und dein Hut sitzt gerade, dabei gehört er über das eine Auge. Was liest du denn da, um Himmels willen?«
»Asche aus Eisen . « Hetty kaute zerstreut an einem Fingernagel, aber auf ihren Lippen lag der Hauch eines maliziösen Lächelns.
»Was?«
» Asche aus Eisen . Das ist der Titel des Buchs. Zeitgenössische Gedichte.«
»Unsinn«, brummelte ihre Tante unbehaglich und ging mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Radioapparat. »Was soll das denn heißen?«
»Ich weiß nicht. Ich schätze, man muss es eben lesen, um es herauszufinden«, erwiderte ihre Nichte streng. Das Buch liebevoll in der Hand wiegend ging sie zur Tür.
Mrs Spring schaltete den Radioapparat an. Musik, wenn man es so nennen konnte, erfüllte das große, luxuriöse Zimmer.
Ich will gar nicht selber schreiben, dachte Hetty, während sie, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinaufrannte, könnte ich auch gar nicht, selbst wenn ich wollte. Aber im Ernst, wenn hier
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