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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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aber was hast du denn davon? Warum jetzt?«
    »Es ist Zeit.«
    Ich fand diese heitere Gelassenheit – oder zumindest seine gespielte Heiterkeit – befremdlich und einladend zugleich. Spontan entschloss ich mich, meine Bedenken wegzuschieben und ins kalte Wasser zu springen.
    »Warum bist du nicht zu Jerrys Beerdigung gekommen? Warum haben wir nie über ihn sprechen können?«
    Dad massierte sich die Augen. Ich wartete.
    »Ich hatte kein Geld. Ich kam gerade so über die Runden.«
    »Mom hat dir angeboten, die Reise zu bezahlen.«
    »Das hätte ich nicht annehmen können.«
    »Wieso nicht?«
    »Ich konnte einfach nicht.«
    Ich drehte durch. Ich stand auf und fing an zu brüllen.
    »Weich mir jetzt nicht länger aus. Mom und ich, wir haben ihn an der Basis abgeholt. Wir sind mit ihm zum Friedhof gefahren. Wir haben gesehen, wie er in die Grube fuhr. All das haben wir getan. Wir haben die Kraft dazu aufgebracht. Warum konntest du das nicht? Vergiss Mom und mich. Das warst du Jerry schuldig.«
    Dad ließ den Kopf hängen. Die Worte, als sie kamen, waren ohne Substanz und lösten sich im leeren Raum zwischen uns auf.
    »Ich weiß.«
    »Du weißt was?«
    »Ich weiß, dass es meine Schuld ist. Ich weiß, dass er meinetwegen weggegangen ist, und ich weiß, dass er meinetwegen gestorben ist.«
    Dad blickte auf. Seine Augen schwammen in Tränen.
    »Ich habe seitdem jeden Tag damit gelebt. Wenn ich das damals nicht getan hätte, wäre er vielleicht noch bei uns. Ich kam damit nicht klar. Ich konnte Leila nicht unter die Augen treten. Warum sie mich überhaupt dabeihaben wollte, weiß ich nicht.«
    »Dad, sie hatte keine Ahnung.«
    »Was?«
    »Ich habe Mom nie von der Nacht erzählt.«
    »Gott, Mitch. Wieso nicht?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Vielleicht sollte man manche Dinge lieber verschweigen.«
    Wir saßen einige Minuten still da.
    »Es war ein schrecklicher Tag«, sagte ich schließlich.
    »Was?«
    »Der Tag, an dem wir das mit Jerry erfahren haben.«
    An jenem Oktobertag im Jahr 1983 sah ich aus dem Wohnzimmerfenster, als der Wagen langsam durch unsere Sackgasse rollte und vor dem Haus anhielt, und ich wusste es. Als zwei Männer mit Leichen bittermiene ausstiegen, kam mir der völlig absurde Gedanke, wenn ich jetzt zur Tür rausrennen und sie abfangen, inden Wagen einsteigen lassen und wieder fortschicken würde, müssten wir es nicht hören und es wäre nicht real.
    Stattdessen krächzte ich »Mom«, und meine Mutter, die in der Küche Gemüse klein schnitt, in dem verzweifelten Versuch, sich von zwei Tagen tiefer Angst abzulenken, wusste es auch.
    Dann klopfte es zweimal energisch an unsere Eichentür, und Mom und ich gingen wortlos zum Eingang und ließen die Marines aus dem Regen hereinkommen.
    Wir hatten das Schlimmste befürchtet an jenem Sonntag, als der Bombenanschlag auf die Kasernen der Marines in Beirut die Nachrichten beherrscht hatte. Wir wussten, dass Jerry da war, und gegen jede Vernunft hatten wir gehofft, er sei unter den Überlebenden oder zum Zeitpunkt nicht einmal in der Gegend gewesen. Aber an der Art, wie Mom sprach, erkannte ich, dass sie mit einer niederschmetternden Nachricht für uns rechnete. Ich musste dieses Gefühl wohl geteilt haben, denn der Knoten in meinem Bauch wurde immer größer. Doch wir würden keine Gewissheit haben, bevor die Regierung nicht bereit wäre, es uns mitzuteilen. Wer wusste denn, während die Suchund Rettungsarbeiten noch unter dem Feuer von Heckenschützen in Gang waren, wann das sein würde?
    Mom machte Anrufe, aber ohne Erfolg. Wen soll man überhaupt anrufen? Es gibt keine Hotline für tote Marines. Man wartet. Man sorgt sich. Man fragt sich, ob das Leben je wieder so wird, wie es war, bevor die Unsicherheit begann. Und dann, wenn man eine Seele hat, fragt man sich, wie die Nachricht, die man hören möchte, überhaupt gut sein kann, wenn die Familien von zweihunderteinundvierzig Männern erführen, dass ihr Sohn, Bruder, Ehemann in einer Kiste heimkehren würden.
    Am Montag und Dienstag ging ich nicht in die Schule. Es war ja nicht so, als ob ich mich auf das Lernen hätte konzentrieren können, und ich wollte zu Hause sein, falls sich unsere schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sollten. Ich wollte nicht, dass Mom die Nachricht allein aufnehmen müsste. Mom hatte die gleiche Idee, sie meldete sich krank. Wir verbrachten zwei Tage zurückgezogenin unserem Häuschen, redeten nur Belangloses, wagten nicht, unsere Angst laut auszusprechen. »Du glaubst,

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