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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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erstenmal auf meine traf. Als Kant versuchte, den Rationalismus mit kategorischen Imperativen und Achtung einzudämmen, ließ Jane mich – durch ihren Pullover – ihre Brust liebkosen. Zur Zeit der ungeheuerlichen Hegeischen Gleichsetzung von Moralität mit den Forderungen des Staates war meine Hand heiß in ihrem Büstenhalter, und mein verallgemeinertes Recht auf Zugang schloß ihre Schenkel ein. Wie fest und weich sich die Tochter dieses Pedanten anfühlte! Ich hatte erwartet, daß sie aus Spinnweben gesponnen sei. Wir waren beide zweiundzwanzig und jungfräulich. Das Wetter verlockte, die Nächte waren warm. Schopenhauer pries den Willen und Nietzsche verherrlichte Brutalität, List, Vergewaltigung und Krieg. Alle früheren ethischen Vorstellungen waren plötzlich als «Sklavenmoral», als «Herdentugenden» entlarvt. In ihrem Zimmer oben, über dem großen staubigen Gewölbe voller aufgetürmter Bücher und gelehrter Journale, welches ihr Vater sein Studierzimmer nannte, gestattete mir Jane, sie auszuziehen – nein, um bei der Wahrheit zu bleiben, sie zog sich mit einer gewissen anmutigen Ungeduld selber aus, nachdem ich aus ihrer Bekleidung ein asymmetrisches Durcheinander von Knitterfalten und ruinierten Reißverschlüssen gemacht hatte. Sie schnippte das letzte Stückchen Unterwäsche weg und faltete die Hände hinter dem Kopf, so daß sie aussah wie eine eingenickte Ausflüglerin, und ließ mich kucken. Sie war nicht die erste, die ich nackt sah. Du wirst dich an die etliche Seiten zuvor geschickt heraufbeschworene Rothaarige erinnern, und eines Sommers hatte es eine knöcherne Studienberaterin gegeben, für die wir hier womöglich nie Platz finden. Aber Jane verhielt sich zu diesen beiden wie der geschliffene Marmor zu dem geschmolzenen Wachs der vorangegangenen Modelle. Keine Formel, weder eine utilitaristische noch eine idealistische vermochte dieser lebendigen Absolutheit wirklich gerecht zu werden. Hier war ein Faktum, ein Meter siebenundsechzig lang und mit Circumferentien, die von den Knöcheln bis zu den Hüften und von der Taille bis zum Schädeldach unendlich subtil variierten. Das Fenster war offen und ließ Abendluft und Licht genug zum Bewundern herein. Grüne und lachsfarbene Streifen glühten hinter den Dächern und Türmen am Horizont. Ihr Jungmädchenzimmer (ein kindliches Tapetenmuster: – abwechselnd ein Rundbild mit einer Hütte und ein wolliger Schäfer, der mit dem Rücken zum Betrachter zwischen Hunden stand – und darauf, an die Wand gepinnt, College-Drucke von Cezanne und Klee und Miro) umgab mich, während meine Augen im Zwielicht tranken, wie eine nebelhaft wahrgenommene Traumkulisse. Ihr Vater unten räusperte sich. Jane deutete lautlos ein Lachen an und nahm die Hände hinter dem Nacken hervor; sie zog mich zu sich hinab, um mein Starren zu ersticken. «Es ist doch ganz natürlich», wisperte sie – ihr erster Tadel, falls es ein Tadel war, oder doch der erste, an den ich mich erinnere, der erste, der mich beschämte und der sich, wie ein Insekt in Bernstein, festgesetzt hat in meinem ausgeschwitzten Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, als ich sie mit so ehrfürchtigem Entzücken (Achtung, tatsächlich) betrachtet hatte. Die britischen Idealisten, Green und Bradley, versuchten, das menschliche Ich, zeitlos und ganzheitlich, dem räuberischen Zugriff der analytischen Wissenschaft zu entziehen. Denke nicht, weil wir beide nackt waren, wir hätten miteinander geschlafen. Es war in den fünfziger Jahren. Es gab Schwierigkeiten, technische wie geistige, durch Traditionen bedingte und existentielle. Während Pierce, James und Dewey mit echt amerikanischem wendigen Denken versuchten, den göttlichen Strom umzukehren und den transzendentalen Hund mit dem Schwanz der durch Leichtgläubigkeit erzielten praktischen Vorteile zu wedeln, erwies Jane sich als aufregend kundig im Trockenficken (verzeihen Sie mir diesen und andere Ausdrücke, Ms. Prynne und wer immer an Kirchenältesten gerade Dienst hat, aber was existiert [ens hat], muß einen Namen haben [nomen]). Aufregend, weil ihre Beschlagenheit zeigte, daß sie es schon vorher getan hatte. Kniend oder seitwärts liegend, die Hände um der Ausrichtung und des Drucks willen nicht unverständig auf meinen Gesäßbacken placiert, rieb sie unsere kratzigen Kontaktflächen aneinander, bis einer von uns, sie ebensooft vor mir wie ich vor ihr, sich zuckend wand und kam. Der Nachzügler folgte dem Beispiel des andern. Wie poetisch, die

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